19.05.2020 - Gesellschaft , Kultur, Geschichte

Alle reden Polnisch. Deutsch-polnische Geschichte im polnischen Film

KAMERDYNER Filmicon fot.Rafal Pijanski

Polens Filmindustrie gewinnt an Schwung. Nach Jahrzehnten der Unbedeutsamkeit feiern polnische Regisseurinnen und Regisseure heute wieder internationale Erfolge. Und das trotz oder vielleicht wegen der Beschäftigung mit der vermeintlich im Westen unverständlichen eigenen Geschichte. Dabei ist Polens Vergangenheit eng mit der deutschen verbunden, weshalb dies bis heute noch ein wichtiges Thema für den polnischen Film ist. Jede Generation sucht nach eigenen Zugängen. Wie setzen sich polnische Filmemacher heute mit dem deutschen Nachbarn auseinander? Welcher filmischen und sprachlichen Mittel bedienen sie sich, um ihre Ideen umzusetzen?

 

Auch im 21. Jahrhundert bleibt deutsche Geschichte, nicht selten in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg, ein häufiges Sujet des anspruchsvollen wie des populären Films. Führend sind hierzulande deutsche Kino- und TV-Produktionen (Der Untergang; Unsere Mütter, unsere Väter; Der Überläufer), aber auch populäre amerikanische oder europäische Gemeinschaftsproduktionen (Die Vorleserin, Operation Walküre, Monuments Men, Die Verleumdung). Überhaupt nicht vertreten in der deutschen oder europäischen Filmöffentlichkeit sind dagegen polnische Produktionen der letzten Jahre, die sich auf die deutsche Geschichte beziehen, die hier oft im deutsch-polnischen Kontext gezeigt wird. Dies ist insofern bedauerlich, als hier dem deutschen und internationalen Publikum eine Entwicklung verlorengeht, die exemplarisch für Geschichtsdebatten unseres Nachbarlandes ist. Und so kommt es mangels Rezeption zu keinem richtigen Austausch auf diesem Feld.

Angesichts der „Lehrstelle der deutschen Erinnerung“, von der im Kontext des geplanten Polen-Denkmals in Berlin in den letzten Monaten gesprochen wurde, könnten Filme als Massenmedium einen wünschenswerten Beitrag dazu leisten, um die polnische Sicht auf die jüngste deutsche Geschichte in Deutschland besser kennenzulernen. In diesem Beitrag geht es aber weniger um die Chancen nachbarschaftlicher Sensibilisierung durch das Medium Film, vielmehr möchte ich aufzeigen, wie einige wichtige polnische Produktionen auf der sprachlichen Ebene auf die Authentizität der deutschen wie der polnischen Protagonisten eingehen. Die Kritik könnte auch als ein Plädoyer für das Engagement deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler im polnischen Film gedeutet werden, um die angestrebte Wahrhaftigkeit der historischen Ereignisse sprachlich zu unterstreichen, was im deutschen Film (wenn auch nicht immer konsequent) seit einigen Jahren getan wird, zumindest wenn es um polnischsprachige Filmcharaktere geht (Unser letzter Sommer; Lauf, Junge, lauf).

Krieg und Sprache im Film

Im polnischen Film spielt das Thema Zweiter Weltkrieg selbstverständlich eine große Rolle. In beinahe allen Filmen bis 1989 wurden deutsche Filmcharaktere von polnischen Schauspielern gespielt, die deutsche Sprache wurde auf einige allgemein bekannte Phrasen reduziert wie „Hände hoch“ oder „schnella! schnella!“ Das genügte, um Abneigung zur deutschen Sprache zu signalisieren. Ansonsten haben filmische Deutsche, wenn sie mit anderen Deutschen sprachen, der Einfachheit halber Polnisch gesprochen. Schauspieler brauchten also kein Deutsch zu können, auch auf filmische „Bruderhilfe“ aus der DDR wurde bis auf wenige Ausnahmen verzichtet. Man hat den Eindruck, dass die sprachliche Ebene die Filmemacher überhaupt nicht interessierte. Dies war auch nichts Ungewöhnliches in Zeiten, in denen in James-Bond-Filmen auch alle sowjetischen Bösewichte gut Englisch sprachen. Und so durfte sich auch Kapitän Hans Kloss, ein polnischer Spion in den Reihen der deutschen Abwehr, in der Fernsehserie Sekunden entscheiden (Original: Stawka większa niż życie, 1967-1968) mit seinen deutschen Offizierskollegen selbstverständlich auf Polnisch verständigen. Keiner – weder die Kritik noch das Publikum – hat ihn das übelgenommen, viele Phrasen des Films sind sogar in die Umgangssprache eingedrungen („Nie te numery, Brunner!“). Und keiner hat sich damals die Frage gestellt, wie gut Hans Kloss in Wirklichkeit hätte Deutsch sprechen müssen, um nicht in den Verdacht seiner eigenen Geheimdienstkollegen zu kommen. Denn in den deutschen Armeestrukturen war ein falscher Akzent nicht gerade karrierefördernd…

Man könnte denken, dass die Zeiten, in denen alle Filmprotagonisten unabhängig vom historischen, ethnischen oder regionalen Kontext im polnischen Film einfach literarisches Polnisch sprechen, heute – dank sprachlicher Sensibilisierung der modernen demokratischen Gesellschaft und dem Streben nach einer umfassenden Wahrhaftigkeit im Kino – gänzlich vorbei sind. Doch ist dies ist immer noch nicht der Fall. Dabei wäre die sprachliche Ebene gerade im deutsch-polnischen Kontext wichtig, da wir es hier mit unterschiedlichen Ausprägungen – regionalen wie sozialen – des Deutschen, des Polnischen, aber auch des oberschlesischen, masurischen oder kaschubischen Dialekts zu tun haben. Filmproduzenten und ihre Casting-Manager müssen Argumente haben, warum sie sich für diese und keine andere Rollenbesetzung entscheiden. Die Frage ist, ob sie die sprachlichen Fähigkeiten der auszuwählenden Schauspielerinnen und Schauspieler überhaupt in Betracht ziehen, denn für einen sprachlich sensiblen und historisch interessierten Zuschauer kann die Sprache enorm wichtig, ja fundamental sein, weitaus wichtiger als Maske, Kostüm und Szenenbild, die die polnischen Filmemacher mittlerweile perfekt beherrschen.

Drei Filme und viele Sprachen

Im Folgenden werden drei Filme aus den letzten Jahren auf ihre sprachliche Wahrhaftigkeit untersucht: Róża von Wojciech Smarzowski (2011), Zgoda von Maciej Sobieszczański (2016) und Kamerdyner von Filip Bajon (2018). Alle drei Filme wurden in Polen breit rezipiert, vom Publikum beachtet, auf Filmfestivals mit Preisen bedacht. Alle drei hatten auch eine kulturpolitische Botschaft, da sie sich auf der narrativen Ebene vordergründig mit den immer noch vorhandenen „weißen Flecken“ der deutsch-polnischen Geschichte beschäftigen. Aber wie authentisch wirken solche Filme, wenn sie nur von Polen auf Polnisch gespielt werden?

So zeigt der Film Róża die frühe Nachkriegszeit im gerade erst von der Sowjetarmee „befreiten“ südlichen Teil Ostpreußens (Masuren) und thematisiert zum ersten Mal die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten. Hier müssen masurische Frauen, darunter die Hauptfigur Rosa Kwiatkowski, für die Verbrechen der Nazis büßen… Der Film zeigt das Leid der Zivilisten im deutsch-polnischen Grenzland, das bis zur Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat führt. Die Titelprotagonistin Rosa spricht Deutsch und Polnisch. Der Knackpunkt: Rosa (gespielt von Agata Kulesza) spricht ein literarisches Hochpolnisch und manchmal ein polnisches Schuldeutsch. Das ist für den historisch interessierten Zuschauer erstaunlich: Masuren sprachen ja einen polnischen Dialekt, der 1945 schon so gut wie ausgerottet war, Hochpolnisch sicher nicht. Dafür konnten sie alle Deutsch in seiner charakteristischen ostpreußischen Ausprägung, oft sprachen sie auch untereinander nur Deutsch, gerade mit Kindern und Jugendlichen, die nach 1933 nicht auffallen wollten und sollten. Dass die Deutschen den Masuren ihre slawische Sprache „genommen hätten“, erklärt im Film auf Deutsch der Pastor der masurischen Gemeinde einem polnischen Ansiedler. Der Schauspieler Edward Linde-Lubaszenko tut sich dabei schwer mit seinem polnischen Akzent. Ein masurischer Pastor hat sicher nie so gekünstelt Deutsch gesprochen. Im Film ist er sowieso der einzige, der einigermaßen Deutsch spricht. Sonst sprechen alle Masuren Polnisch, hin und wieder hört man ein deutsches Wort, verstohlen, abgehackt, mit Akzent. Man hat den Eindruck, hier will man schon auf die kulturelle und sprachliche Eigenart des Masurenlandes eingehen, weiß aber nicht genau wie, wohl hoffend, dass die sprachliche Ebene dem polnischen Publikum nicht auffallen wird. Auf der anderen Seite soll diesem schon suggeriert werden, dass sich die Geschichte in einer deutsch-polnischen Grenzregion abspielt. Durch die ungeschickte Handhabung der Sprachfrage entsteht für den heutigen polnischen Zuschauer jedoch der Eindruck, dass die Masuren 1945 ausnahmslos Polen waren, die Polnisch sprachen und hin und wieder mal ein deutsches Wort benutzten, verständlich, da sie doch brutal germanisiert worden waren.

Von Ostpreußen nach Pommerellen: Kamerdyner ist ein opulentes Werk des Altmeisters Filip Bajon, der schon in den 1980er Jahren in Magnat einen großen deutschen Adeligen porträtierte – den oberschlesischen Fürsten von Hochberg-Pless. Der neue Film über den pommerellischen Landjunker Herrmann Kraus sollte zeigen, dass entgegen manch nationalpolnischer Argumentation ein fruchtbares deutsch-polnisches Miteinander (darunter auch ein dramatisches Liebesverhältnis) in den früheren Grenzregionen möglich war, und dass Geschichte niemals nur schwarz-weißen Stereotypen folgt. Das ist das Neue, bei der Sprache bleibt Bajon aber ganz der Alte: Wie vor 40 Jahren, so werden auch heute deutsche Aristokraten ausschließlich von polnischen Schauspielern gespielt (Adam Woronowicz, Borys Szyc, Daniel Olbrychski). In den Landschlössern, auf Bällen und in den Hinterzimmern wird im Film immer nur Polnisch gesprochen, hier und da fällt mal ein deutsches Wort, einmal hört man „Hoch soll er leben“ als Geburtstagsständchen. Spannend wird es aber, wenn gebildete Deutsche mit ihren kaschubischen Bediensteten und Kammerdienern sprechen. Spannend für einen Historiker, Regionalisten, aber nicht für die Filmemacher, denn im Film reden alle Polnisch, nur einige wenige reden Kaschubisch, und auch das auch nicht immer. Was erstaunt: Janusz Gajos stellt in der Rolle des polnischen Agitators Bazyli Miotke alle anderen Protagonisten mit seinem authentisch wirkenden Kaschubisch in den Schatten. Was noch mehr erstaunt: Den Brief von der Frankreichfront 1914, den seine Frau im Film laut vorliest, verfasst er in einem perfekten Hochpolnisch! Andere Kaschuben sprechen eher gekünstelt Kaschubisch, vergessen dabei immer wieder ihre Muttersprache und wechseln unbewusst ins Hochpolnische. Wirklich unbewusst? Vergessen Regisseure einfach, wie ihre Schauspieler zu sprechen haben? Es ist kaum zu glauben, dass auch Drehbuch- und Dialogautoren einfach darüber hinwegsehen. Die Bemühung in Hinblick auf die Regionalsprache ist zwar im Film sichtbar, aber auch hier entsteht der Eindruck, dass in dieser Grenzregion eigentlich alle immer Polnisch sprachen und es bleibt unklar, wer eigentlich Pole, wer Deutscher und wer Kaschube ist. Das ist in einer Grenzregion aber wie bereits erwähnt ungeheuer wichtig!

Zgoda fot4. Walenty Wasjanowicz 7 1024x864Zum Schluss Zgoda, ein Film, der die polnische Schuld an den Oberschlesiern 1945 aufarbeiten sollte, eine filmische Auseinandersetzung mit der „oberschlesischen Tragödie 1945“, über die erst in den letzten Jahrzehnten überhaupt gesprochen werden durfte. Schon im Vorspann wird auf die Existenz von Lagern nach 1945 hingewiesen, in denen „Schlesier, Volksdeutsche und Polen, die sich der kommunistischen Macht entgegenstellten“, eingesperrt, gedemütigt, vergewaltigt und nicht selten bestialisch ermordet wurden. Schon diese Kategorisierung erstaunt: „Schlesier“, wie Oberschlesier in Polen in der Regel genannt werden, waren 1939-1945 ja auch oft gleichzeitig „Volksdeutsche“, es sei denn, sie wohnten vor 1939 im deutschen Teil Oberschlesiens („Reichsdeutsche“), also ist die Opposition nichtig. Und was waren das für Polen im Lager Zgoda, die sich den Kommunisten entgegenstellten? Mitglieder der Untergrundarmee AK oder anderer Gruppierungen? Aber waren es nicht gleichzeitig auch Oberschlesier? Das bleibt vorerst unklar.

In dem Lager sucht man unter den Oberschlesiern nach Verrätern, ehemaligen Nazis und SS-Männern. Bis auf einige wenige sprechen alle Insassen Polnisch, ja auch hier wieder fast ausschließlich Hochpolnisch. Die Oberschlesier sprechen aber einen polnischen Dialekt, und selbst wenn sie Hochpolnisch sprechen, werden sie ihren oberschlesischen Tonfall nicht wirklich los. Im Film spricht so nur ein einziger Protagonist – ein Arzt, kein Lagerinsasse. Auch die Hauptprotagonisten nicht: zwei Freunde, die dasselbe Mädchen lieben. Der deutsche Erwin (Jakub Gierszał) ist als Wehrmachtsangehöriger im Lager eingesperrt, seine Ausführungen, er sei Deserteur, finden jedoch kein Gehör. Sein polnischer Freund Franek (Julian Świerzewski) wird nur deswegen im Lager zum Wachmann, um die geliebte Anna (Zofia Wichłacz) zu befreien, aber Anna liebt Erwin. Alle drei kennen sich von früher, was ein Foto von 1939 zeigt. Alle drei müssten vor 1939 wohl polnische Staatsbürger im polnischen Teil Oberschlesiens gewesen sein. War es wirklich so?

Erwin spricht im Film Deutsch, manchmal Polnisch, aber so als ob ihm Polnisch Mühe machen würde. Franek spricht Hochpolnisch, wie auch seine Mutter (Danuta Stenka), die in der Nähe des Lagers wohnt. Und Polnisch spricht auch die von beiden Männern geliebte Anna. Dem Zuschauer sollten spätestens hier Zweifel an der Idee des Films aufkommen. Wenn man bedenkt, dass der Film die oberschlesischen Opfer in den Mittelpunkt stellen sollte, so fragt man sich, wo die Oberschlesier in dem Film wohl bleiben? Hier hätte eine andere Besetzung sicherlich helfen können, die Opfer durch ihre sprachliche Eigenart zu würdigen. Denn auch hier entsteht für den Zuschauer der Eindruck, in Oberschlesien hätten alle Polnisch gesprochen. Das mag schon sein, aber kein Hochpolnisch, sondern den oberschlesisch-polnischen Dialekt.

In Wirklichkeit hätte es auch noch ganz anders sein können: Der Deutsche Erwin hätte gut den oberschlesisch-polnischen Dialekt sprechen können, wuchs er doch im polnischen Teil Oberschlesiens nach 1922 auf. Franek aber, der im Film auch Franz genannt wird, hätte relativ gut Deutsch sprechen können. Anna schließlich hätte eine Deutsche sein können, die auch Polnisch spricht. In Oberschlesien wäre das nicht ungewöhnlich und hätte die nationalen Optionen nicht beeinflusst. Vielleicht geht der unerfahrene Regisseur deswegen auf Nummer sicher: Alle im Film sprechen immer Polnisch, Hochpolnisch!

Dass es anders geht, den polnischen Zuschauer für die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu sensibilisieren, beweist Krzysztof Zanussi in Eter. In der Geschichte, die sich vor und im ersten Weltkrieg im österreichischen Galizien abspielt, kommen viele der Bewohner der Doppelmonarchie zum Zuge: Deutsche sprechen österreichisches Deutsch, Polen Polnisch oder ein polnisches Deutsch, Ukrainer Ukrainisch, Ungarn Ungarisch, Juden Jiddisch. Zanussi hat dafür muttersprachliche Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert, das kostete sicher etwas mehr, aber so muss es sein, damit sich die Völker der Doppelmonarchie im Film wiederfinden.