25.06.2020 - Gesellschaft , Politik

„Alles bleibt anders“ (Teil II) oder "Ein letztes Mal: Rückkehr zum Duopol?"

Presidentschaftswahlen ulica Copyright by Anna Dybek

Mit den diesjährigen Präsidentschaftswahlen in Polen endet der Wahlmarathon, der mit den Kommunalwahlen 2018 begann, gefolgt von den Europa- sowie den Sejm-Wahlen 2019. Nachdem die ursprünglich für den 10. Mai angesetzten Wahlen im letzten Moment verschoben wurden (siehe auch DPI-Blog-Beitrag #6), werden die Wahlen nun am kommenden Sonntag, den 28. Juni stattfinden.

Zu Beginn des Jahres schien die Wahl weitestgehend offen zu sein. Mit rund 40 Prozent Zustimmung führte der amtierende Präsident Andrzej Duda die Umfragen zwar deutlich an, wäre aber zu jenem Zeitpunkt dennoch auf einen zweiten Wahlgang angewiesen gewesen, um die notwendige absolute Mehrheit der Stimmen zu erhalten. Damit ergab sich für seine Konkurrent*innen eine reelle Chance, den Kandidaten der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in einem zweiten Wahlgang zu bezwingen. Hier konnten sich sowohl die Kandidatin des von der Bürgerplattform (PO) dominierten Walbündnisses Bürgerkoalition (KO) Małgorzata Kidawa-Błońska, der unabhängige Kandidat Szymon Hołownia und der Vertreter der Bauernpartei (PSL) Władysław Kosiniak-Kamysz Chancen ausrechnen. Einzig der Kandidat der Linken Robert Biedroń und der Kandidat der rechtsnationalistischen Konfederacja Krzysztof Bosak wären Duda in einem zweiten Wahlgang klar unterlegen gewesen.

Mit dem Beginn der Ausbreitung der Corona-Pandemie in Polen in der ersten Märzhälfte und den darauffolgenden vergleichsweise harschen Restriktionen gewann auch der Präsidentschaftswahlkampf eine neue Dynamik. Als Folge des allgemeinen Versammlungsverbots konnten die Kandidat*innen keine Wahlkampfveranstaltungen abhalten und mussten zunehmend auf die sozialen Medien ausweichen. Einzig Präsident Duda konnte aufgrund seines Amtes und der extremen Regierungsnähe des öffentlichen Senders TVP auf eine mediale Dauerpräsenz zählen. In der Folge nahmen die Zustimmungswerte für Duda weiter zu, so dass ein Sieg im ersten Wahlgang im Bereich des Möglichen zu sein schien. Nicht zuletzt aus diesem Grund beharrte PiS-Vorsitzender Jarosław Kaczyński trotz empörter Proteste der Opposition bis zuletzt auf dem ursprünglichen Wahltermin am 10. Mai.

Kurz vor dem anvisierten Tag der Stimmabgabe einigte man sich schließlich auf eine Verschiebung der Wahlen. Der erste Wahlgang wurde auf den 28. Juni gelegt, ein eventuell nötiger zweiter Wahlgang würde dann am 12. Juli stattfinden. In dieser Situation gewann der Wahlkampf eine neue Dynamik. So konnten die Kandidaten nun wieder öffentliche Wahlkampfveranstaltungen durchführen und auch die Oppositionskandidaten hatten einen besseren Zugang zu den Medien. Gleichzeitig nutze die KO die Möglichkeit, ihre bisherige glücklose Kandidatin Kidawa-Błońska, der man offenbar kein Comeback in diesem Wahlkampf mehr zutraute, mit dem dynamischen Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski zu ersetzen. Seine Kandidatur markierte einen Wendepunkt im Wahlkampf der Bürgerkoalition. Nachdem Kidawa-Błońska in den Umfragen zuletzt auf unter 10 Prozent abgestürzt war, gelang es Trzaskowski, seinen Anfangswert von 14 Prozent über die vergangenen Wochen hinweg auf bis zu 30 Prozent zu steigern. Damit hatte es Präsident Duda plötzlich mit einem ernstzunehmenden Herausforderer zu tun und stellte seine Wahlkampfstrategie entsprechend um. Hatte er während der Hochphase der Pandemie vor allem von der Popularität des Präsidentenamtes profitiert, zeichnete sich nun eine Rückkehr zum Duopol PO-PiS ab, das sich durch eine starke Polarisierung der polnischen Politik entlang der Parteilinien auszeichnet und das sachorientierte Fragen in den Hintergrund rücken lässt.

In der Folge präsentierte Duda am 10. Juni die Familien-Charta, eine Erklärung, die die Werte der traditionellen Familie hochhält und ein „Verbot von LGBT-Ideologie in öffentlichen Institutionen“ vorsieht. Damit positionierte sich Duda diametral entgegengesetzt zu Trzaskowski, der als Stadtpräsident Warschaus 2019 eine LGBT-Charta präsentiert und die Schirmherrschaft über die Gleichheitsparade übernommen hatte. Mit dieser starken Polarisierung sollte der liberale Trzaskowski als radikaler Gegner polnischer Tradition und als Vertreter der Eliten dargestellt werden, während Präsident Duda nationale Werte und die kleinen Leute repräsentiere. Trzaskowski wiederum ignorierte diese Angriffe geschickt – die Mehrheit der Pol*innen ist gegen die volle Gleichberechtigung von LGBT-Partnerschaften – und warf Duda im Gegenzug dessen nicht eingelöste Wahlversprechen vor. Im Kern ist der Wahlkampf somit zu einem Zweikampf zwischen Andrzej Duda und Rafał Trzaskowski geworden und damit letztlich auch zu einem Zweikampf zwischen PiS und PO. Dieses Duopol, das die Geschicke der polnischen Politik seit 2005 bestimmt, schien nach dem Wahlsieg der PiS 2015 und der anhaltenden Führungskrise der PO eigentlich schon an seinem Ende angelangt.

Den jüngsten Umfragen zufolge wird der Kampf um die Präsidentschaft erst im zweiten Wahlgang am 12. Juli entschieden. Hier deutet nach den jüngsten Umfragen vieles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Duda und seinem Kontrahenten Trzaskowski hin, ein Duell mit ungewissem Ausgang. Daher geht es für die beiden Kandidaten neben der Mobilisierung der eigenen Wählerschaft und der Demobilisierung der Wählerschaft des jeweiligen Gegners vor allem darum, die bislang unentschiedenen Wähler*innen von sich zu überzeugen. Duda wird hier den Spagat meistern müssen, indem er einerseits nationalkonservative Wähler*innen aus dem Bosak-Lager und andererseits eher gemäßigt konservative Wähler*innen aus dem PSL-Lager für sich gewinnt. Trzaskowski hingegen, der besonders in den Großstädten einen starken Rückhalt besitzt, steht vor der Herausforderung, die Wählerschaft in den kleineren und mittleren Städten von sich zu überzeugen. Dem entsprechen auch die Strategien der beiden Kandidaten gegen Ende des Wahlkampfes. Während Duda durch seinen kurzfristig anberaumten USA-Besuch am 24. Juni und das Treffen mit US-Präsident Trump versucht, sein Image des Staatsmannes in den Vordergrund zu stellen, tourt Trzaskowski durch den (Süd-) Osten Polens, wo die traditionellen Hochburgen der PiS-Wählerschaft liegen. 

Wenngleich der Einzug von Duda (43,1 %) und Trzaskowski (27,4 %) in die zweite Runde als sicher gelten dürfte, lohnt es sich einen Blick auf vier weitere der insgesamt elf Kandidaten zu werfen. Deren Abschneiden wird sich potenziell auf die weitere Entwicklung der polnischen Parteienlandschaft auswirken. [Die genannten und folgenden Werte beziehen sich auf eine Umfrage von IBRiS für die Wochenzeitschrift Polityka vom 23.6.2020]

 

Szymon Hołownia (10,1 %)

Im Dezember 2019 gab der (katholische) Journalist, TV-Moderator und Gesellschaftsaktivist offiziell bekannt, bei den Präsidentschaftswahlen 2020 als unabhängiger Kandidat anzutreten. Im Fokus seines im Februar 2020 vorgestellten Wahlprogramms standen die Themen nationale Sicherheit, Umweltschutz, soziale Solidarität, Selbstverwaltung und zivilgesellschaftliches Engagement. Neben dem professionell ausgearbeiteten Wahlprogramm wusste Hołownia mit zwei weiteren Aspekten zu überzeugen. Zum einen gelang es ihm, namhafte Expert*innen aus Wissenschaft und Politik in seinen Wahlkampf- und Beraterstab zu holen. Zum anderen verstand er es, sich überzeugend als antisystemische Alternative zu den Kandidaten der etablierten Parteien zu präsentieren. Zwischenzeitlich galt Hołownia daher als Geheimfavorit für einen möglichen zweiten Wahlgang. Auch wenn Hołownias Chancen auf den Einzug in die zweite Runde aktuell nur noch theoretischer Natur sind, kann ein relativer Erfolg bei den Wahlen durchaus eine neue Dynamik in der polnischen Politik entfachen. Dies gilt umso mehr, als Hołownia zuletzt angekündigt hatte, nach den Wahlen eine gesellschaftspolitische Bewegung aufzubauen, die letztlich in die Gründung einer neuen Partei münden soll. Den Grundstein hierfür hat er bereits gelegt. Bislang wird seine Kampagne von rund 14.000 Freiwilligen getragen, deren Zahl täglich um 200 steigt.

 

Władysław Kosiniak-Kamysz (7,5 %)

Der frühere Minister für Arbeit und Soziales sowie Vorsitzende der polnischen Bauernpartei PSL ging als einer der klaren Außenseiter in das Rennen um die polnische Präsidentschaft. Neben den Landwirt*innen spricht er vor allem diejenigen städtischen Wähler*innen an, die eine wertkonservative Weltanschauung haben, aber klar proeuropäisch und von der PO enttäuscht sind. Während des Lockdowns in Polen im April konnte sich Kosiniak-Kamysz als Arzt profilieren. Er konnte auch Personen ansprechen, die Kidawa-Błońska und die PO nicht unterstützen wollten. Mit einer frischen Dynamik und seiner proeuropäischen, modernen Einstellung hat er neue Befürworter*innen gefunden und konnte sich mit Umfragewerten um die 14 Prozent zwischenzeitlich ernsthafte Hoffnungen auf einen Einzug in die zweite Runde machen. Dies änderte sich schlagartig mit der Kandidatur von Trzaskowski. Kosiniak-Kamyszs Wahlkampf mangelt es zuletzt offensichtlich an Ideen, die letzten Umfragewerte lagen nunmehr bei 7,5 Prozent. Dies legt es nahe, sein Umfragehoch nicht als eigene Leistung zu interpretieren. Vielmehr er profitierte von der Schwäche seiner damaligen Rivalin Kidawa-Błońska.

 

Krzysztof Bosak (6,2%)

Als Abgeordneter des Sejm für das rechtsnationale Bündnis Konfederacja waren seine Chancen auf einen Einzug in die zweite Runde von Beginn an marginal. Allerdings gelang es ihm, das eigene Elektorat zu konsolidieren und sein Profil als junger, dynamischer und eloquenter Politiker zu stärken. Bosak steht für wertkonservative Positionen rechts der PiS. So fordert er etwa, ein Abtreibungsverbot und das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe in der Verfassung zu verankern. Wirtschaftlich vertritt Bosak einen marktradikalen Ansatz und spricht sich gegen jegliche Steuererhöhungen aus.

 

Robert Biedroń (4,5 %)

Einen wahren Absturz erlebte der Kandidat der Linken, der Europaabgeordnete Robert Biedroń, rangierte er doch vor zwei Jahren in Umfragen noch bei rund 20 Prozent hinter Duda und einem möglichen Präsidentschaftskandidaten Donald Tusk. Zu Beginn seiner Kandidatur kam er zeitweise noch auf bis zu 12 Prozent. Somit gelang es Biedroń nicht einmal, das Kernelektorat der Linken von sich zu überzeugen. Bei den Sejm-Wahlen 2019 hatten immerhin 12,6 Prozent für die linke Koalition bestehend aus SLD, Wiosna und Razem gestimmt. Biedroń ist letztlich ein Kandidat wider Willen, nachdem Adrian Zandberg von Razem von einer Kandidatur Abstand genommen hatte und SLD-Chef Włodzimierz Czarzasty ihn zu einer Kandidatur drängte.