17.07.2020 - Politik, Gesellschaft

Ein Sieg für die PiS, ein Rückschlag für die Opposition – Vier Überlegungen zu den Auswirkungen der Präsidentschaftswahl in Polen

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Am vergangenen Sonntag wählten die Pol*innen ihren Präsidenten. In der Stichwahl setzte sich Amtsinhaber Andrzej Duda, der dem Regierungslager der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) entstammt, zwar knapp, aber dennoch eindeutig mit 51 Prozent gegen seinen Kontrahenten Rafał Trzaskowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) mit 49 Prozent durch. Im Folgenden präsentiere ich vier Überlegungen zu den Auswirkungen des Wahlergebnisses. Dabei widme ich mich insbesondere der Person Trzaskowskis als neuem Hoffnungsträger der Opposition, der Lage der oppositionellen Bürgerplattform und der Regierungspartei nach den Wahlen sowie der Frage nach den Auswirkungen des Wahlergebnisses auf die Beziehungen Polens zu Deutschland und der Europäischen Union. 

1. Rafał Trzaskowski – ein Wahlverlierer als Hoffnungsträger?

Rafał Trzaskowski konnte im zweiten Wahlgang mehr als zehn Millionen Stimmen auf sich vereinigen. Das sind rund vier Millionen Stimmen mehr als im ersten Wahlgang. Dies ist zweifelsohne mehr als ein bloßer Achtungserfolg. Zudem gelang es dem Warschauer Stadtpräsidenten, seine am Boden liegende Partei (die vorherige Kandidatin der Bürgerplattform war in den Umfragen zeitweise auf einstellige Zustimmungswerte gefallen) wieder aufzurichten und mit einem engagierten Wahlkampf der gesamten Opposition berechtigte Hoffnungen auf den Einzug in den Präsidentenpalast zu machen. Andererseits ist dies, abgesehen von den Senatswahlen 2019, nunmehr die sechste Wahl in Folge, in der die Opposition der PiS unterlegen war, und das bei maximaler Polarisierung und einer außergewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von über 68 Prozent. Im Hinblick auf den nächsten Urnengang, die Parlamentswahlen im Herbst 2023, lohnt der Blick auf den ersten Wahlgang. Hier konnte Trzaskowski gerade einmal 30 Prozent der Wähler*innen überzeugen, was derzeit dem maximalen Mobilisierungspotenzial der Bürgerplattform entsprechen dürfte. Ob Trzaskowski der auch bei vielen Oppositionswähler*innen in Misskredit geratenen Partei neues Leben einzuhauchen vermag, darf zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest bezweifelt werden.

 2. Die Bürgerplattform – eine Partei in der Dauerkrise als Mutmacher für die Opposition?

Spätestens seit der Niederlage bei den Sejm-Wahlen 2015 ist die Bürgerplattform im Dauerkrisenmodus. Der Höhepunkt der Corona-Krise Ende April/Anfang Mai, als die Präsidentschaftskandidatin der PO, Małgorzata Kidawa-Błońska, in den Umfragen auf einstellige Werte gefallen war, markierte einen neuen Tiefpunkt der liberal-konservativen Partei. Dank Trzaskowskis persönlicher Überzeugungskraft im Wahlkampf witterte die PO noch einmal Morgenluft, muss sich nach der erneuten Niederlage aber unangenehme Fragen gefallen lassen. Das Duopol PO-PiS zahlt sich für die Bürgerplattform nicht mehr aus, seit 2015 lassen sich hiermit keine Wahlen mehr gewinnen. Gleichzeitig ist eine inhaltlich-strategische Neuausrichtung der Partei weit und breit nicht in Sicht. Es gibt nach wie vor kein überzeugendes Programm, keine Zukunftsvision für das Land und kein kohärentes Narrativ für die Pol*innen, um es bei den nächsten Wahlen in drei Jahren mit der PiS aufzunehmen. Die Bürgerplattform war noch nie eine Programmpartei, sondern verstand es lange Zeit pragmatisch und geschickt mit einem pro-europäischen Kurs, Wirtschaftswachstum, Anti-PiS-Rhetorik und einem charismatischen Donald Tusk an der Spitze, Mehrheiten zu organisieren. Für ein politisches Comeback mangelt es der Partei derzeit jedoch an sowohl an den geeigneten Personen als auch an überzeugenden politischen Inhalten.

 3. Die PiS – ein knapper Sieg mit großer Wirkung

Es war knapp, aber ausreichend. Mit dem Sieg von Andrzej Duda sicherte die PiS ihre Macht für die kommenden drei Jahre, bis zu den Parlamentswahlen 2023 ab. Damit zeigte die Partei, dass selbst in einer Situation extremer Polarisierung (Stichwort: Alle gegen PiS) die Mischung aus Sozialprogrammen, der Betonung nationaler Souveränität und einer Erzählung des Stolzes auf das „Polnischsein“ weiterhin mehrheitsfähig ist. Die PiS unter der Führung von Parteichef Jarosław Kaczyński hat damit viel Zeit gewonnen, um den eingeschlagenen Reformweg, etwa den Umbau des Justizwesens, fortzusetzen oder mit einer „Repolonisierung“ der Medienlandschaft sogar noch zu verschärfen. Entsprechende Aussagen hochrangiger Regierungsmitglieder am Abend und den Tagen nach der Wahl bestätigen diese Einschätzung. In der Vergangenheit hat die PiS die Wochen nach Wahlen häufig genutzt, um Tatsachen zu schaffen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass dies auch jetzt wieder der Fall sein wird. Dass Präsident Andrzej Duda in seiner zweiten und letzten Amtszeit sich von der PiS emanzipiert und ein eigenes Profil entwickelt, steht nicht zu erwarten. Zwar zeigte er sich am Wahlabend versöhnlich, allerdings war dies auch schon in der Vergangenheit der Fall. Wenn es darauf ankommt, nämlich bei der schnellen Unterzeichnung von im Hauruckverfahren verabschiedeten Gesetzen, konnte sich die Regierung stets auf „ihren“ Präsidenten verlassen. Spannend bleibt hingegen zu beobachten, wie sich das Kräfteverhältnis in der Regierungskoalition, die faktisch aus drei Parteien besteht, weiterentwickelt. Sowohl der Koalitionspartner Porozumienie von Parteichef Jarosław Gowin als auch Solidarna Polska unter der Führung von Justizminister Zbigniew Ziobro konnten bei den Sejm-Wahlen 2019 Stimmen hinzugewinnen und ihre Position im Regierungsbündnis stärken. Mit seinem Eintreten gegen die Abhaltung der Präsidentschaftswahlen am ursprünglich angesetzten Wahltermin, dem 10. Mai, machte Gowin deutlich, dass er durchaus gewillt ist, sich PiS-Chef Kaczyński entgegenzustellen. Und so ist auch in den kommenden drei Jahren immer wieder mit Versuchen der beiden Juniorpartner zu rechnen, ihre eigenen politischen Vorstellungen innerhalb der Regierung stärker zur Geltung zu bringen, ohne jedoch die Koalition als solche zu gefährden.

 4. Auswirkungen auf Polens Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union

Auch wenn es lange Zeit nicht danach ausgesehen hatte, passierte es letztlich doch. Gegen Ende des Wahlkampfes spielte Präsident Duda die „anti-deutsche Karte“, die bisher immer für ein bis zwei Prozentpunkte gut war. Diesmal richtete sich der Vorwurf gegen die vermeintliche Einflussnahme deutscher Medien und Medienverlage auf die Präsidentschaftswahlen in Polen. Sogar der Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Warschau wurde in dieser Angelegenheit ins polnische Außenministerium einbestellt. Dennoch dürfte weiterhin gelten, dass nach den Wahlen nichts so heiß gegessen wird, wie es im Wahlkampf gekocht wurde. Trotz der mitunter harschen Rhetorik von polnischer Seite waren die deutsch-polnischen Beziehungen in den vergangenen Jahren auch viel von Pragmatismus geprägt. Beide Länder sind füreinander wichtige Handelspartner, zudem stehen Deutschland wie auch Polen als EU-Mitglieder vielfach vor ähnlichen Herausforderungen, bei deren Bearbeitung sie auf gegenseitige Kooperation angewiesen sind. Für Deutschland ist Polen ein wichtiger Partner innerhalb der EU, gerade jetzt während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Hier stehen zahlreiche wichtige Aufgaben auf der Agenda, darunter die Aushandlung des mehrjährigen Finanzrahmens (wo man auf Polens Zustimmung angewiesen ist), die Umsetzung des Green New Deal und die zuletzt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückten Corona-Hilfen. Polen wiederum hat in der Vergangenheit wie kein anderes Land von den Geldern aus Brüssel profitiert und kann auf diese Zahlungen auch in Zukunft nicht verzichten. Zudem ist die Regierung in Warschau bestrebt, keine fundamentalen weiteren Integrationsschritte ohne polnische Beteiligung zuzulassen, um ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ zu vermeiden.

Die europäischen Institutionen stehen mit der polnischen Regierung weiterhin im Konflikt. Unter anderem läuft ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des fortwährenden Umbaus des polnischen Justizsystems. Wie bereits angesprochen, haben Mitglieder der Regierung schon am Wahlabend von der Notwendigkeit einer Fortsetzung der umstrittenen Reformen gesprochen. Es wird dann von der EU abhängen, wie sie hierauf reagiert und ob sie, anders als in der Vergangenheit, Zähne zeigen wird. Der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel hat kürzlich vorgeschlagen, die Gelder im Rahmen des Recovery-Programms zur Linderung der Corona-Auswirkungen in den Mitgliedstaaten an rechtsstaatliche Kriterien zu knüpfen, was der polnischen Regierung kaum gefallen dürfte und potenziell Zündstoff für erneute Konfrontationen birgt.