24.08.2020 - Gesellschaft , Kultur, Politik

„LGBT-freie Zonen“ in Polen – Fakten und Zahlen

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In den letzten Monaten wurde oft darüber berichtet, dass einige polnischen Gemeinden, Städte und Woiwodschaften sogenannte „LGBT-freie Zonen“ eingeführt haben. Was genau sich hinter diesem Namen versteckt, um wie viele Beschlüsse es sich handelt und welche Folgen es für die deutsch-polnischen Beziehungen haben kann, ist aber eher unklar. In den kommenden Wochen versuchen wir in einigen Texten die Lage darzustellen. In unserem ersten Bericht beschreiben wir die Zahlen, nennen die Kommunal- und Regionalparlamente und erklären, was in den verabschiedeten Dokumenten steht.

Resolution gegen die LGBT Ideologie und die Kommunale Charta der Familienrechte

Die LGBT+-Thematik (LGBT+ aus dem Englischen: Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender, das „+“ steht für weitere Geschlechtsidentitäten) wurde auf der kommunalen und regionalen Ebene zum ersten Mal auf die politische Agenda gebracht, als Warschaus Stadtpräsident am 18. Februar 2019 die LGBT+-Resolution für Warschau unterschrieb, welche mehrere Punkte zum Kampf gegen die Diskriminierung der LGBT+-Community enthält. Darunter fallen zum Beispiel Sexualkunde und Antidiskriminierungserziehung in der Schule sowie sichere Treffpunkte für LGBT+-Personen.

Darauf folgten Schritte von den Kommunen und Regionalparlamenten, die sich dagegen wehren wollten. So wurde die erste Resolution gegen die „LGBT-Ideologie“ am 26. Mai 2019 im Landkreis Świdnik (Woiwodschaft Lublin) verabschiedet und die erste Kommunale Charta der Familienrechte am 26. April 2019 im Landkreis Łowicz (Woiwodschaft Lodz). In der Diskussion um die Maßnahmen, die gegen die LGBT+-Community ergriffen wurden, handelt es sich also um zwei Arten von Dokumenten.

Die verabschiedeten Texte der Resolution gegen die „LGBT-Ideologie“ unterschieden sich von Ort zu Ort, die meisten von ihnen orientieren sich allerdings an der ersten Resolution aus dem Landkreis Świdnik und die Kernaussage bleibt immer die gleiche: Die jeweilige Kommune, Stadt oder Region soll nicht von der „LGBT-Ideologie“ beeinflusst werden, damit Kinder in der Schule vor der aufgezwungenen politischen Korrektheit und der „Frühsexualisierung“ nach den Standards der Weltgesundheitsorganisation (wie die Sexualaufklärung von ihren Gegnern genannt wird) geschützt werden. Die Resolution stehe, so ihre Anhänger, im Einklang mit den Eltern der Schüler*innen. Außerdem sollen Lehrkräfte und andere Personen in diesem Berufskreis nicht unter der „politischen Korrektheit“ leiden, die in den Resolutionen teilweise als „Homopropaganda“ bezeichnet wird. Es heißt, dass nur so die traditionellen, insbesondere christlichen Werte des Landes und der Nation gewahrt werden können.

Es gibt einige Resolutionen, die auffällige Unterschiede zeigen, unter anderem mit noch mehr Fokus auf die christlichen Werte, wie zum Beispiel die milder geschriebene Resolution aus dem Landkreis Białystok, bei der unterstrichen wird, dass alle Minderheiten toleriert werden sollten, aber die christlichen Überzeugungen der Pol*innen trotzdem respektiert werden müssen und im Vordergrund stehen, oder die Resolution der Gemeinde Łosina Dolna, welche die LGBT-Bewegung  als Angriff auf die polnische Kirche und als Beleidigung gläubiger Menschen darstellt. Auffällig ist die Resolution des Landkreises Ryki, bei dem die Wortwahl aggressiver gewählt wird, etwa mit Begriffen wie „Homoterror“.

Bei der Kommunalen Charta der Familienrechte handelt es sich wiederum immer um das gleiche Dokument, welches von der ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris im März 2019 initiiert und vorbereitet wurde. In dieser wird die Wichtigkeit des Familienlebens unterstrichen und es wird auf die Verfassung Polens hingewiesen, nach der die Ehe als Partnerschaft zwischen Frau und Mann formuliert wird, das Familienleben dem Schutz des Staates unterliegt und die Eltern ihre Kinder nach den eigenen Vorstellungen erziehen können sowie das Kind vor Demoralisierung geschützt werden soll. Es werden fünf Forderungen erhoben, die folgende Themen behandeln: 1. Die Rechte der Eltern und das Kindeswohl in der Schule und im Kindergarten, 2. Familienrechte in der Sozialpolitik der Gemeinde, 3. Förderung guter Regelungen in Bezug auf Familienrechte in Unternehmen, 4. Überwachung und Durchsetzung von Familienrechten, 5. Schaffung eines familienfreundlichen Rechts.

Eine deutsche Übersetzung der Charta ist hier einsehbar.

Zahlen und Namen

Insgesamt wurden 63 Resolutionen (oder ähnliche Dokumente, etwa einzelne Beschlüsse) von fünf Woiwodschaften, 19 Landkreisen, 38 Gemeinden und einer Stadt verabschiedet. In 30 Kommunal- und Regionalparlamenten wurde sie 12 Mal abgelehnt und 18 Mal von der Tagesordnung genommen.

Für die Charta wiederum haben sich 40 Kommunal- und Regionalparlamente entschieden, davon zwei Woiwodschaften, 17 Landkreise, 19 Gemeinden und zwei Städte. Abgelehnt wurde sie 31 Mal, und sieben Mal wurde sie von der Tagesordnung genommen.

Vier Parlamente haben sowohl die Resolution als auch die Charta verabschiedet (Stary Sącz, Landkreis Tarnów, Landkreis Radzyń, Woiwodschaft Karpatenvorland), eines zwei Varianten eigens formulierter Resolutionen (Woiwodschaft Heiligkreuz).

Die Zonen und der Grad der LGBT-feindlichen Politik sind auf folgender Website einsehbar, die von polnischen LGBT+ Aktivist*innen erstellt wurde: https://atlasnienawisci.pl/

Politische Trennlinie

Bei den Diskussionen der Gemeinderäte, Stadtparlamente, Kreistage und Landtage der Woiwodschaften sowie bei den anschließenden Abstimmungen waren politische Trennlinien deutlich zu sehen. Von den 1391 stimmberechtigten Ratsmitgliedern auf allen kommunalen und regionalen Ebenen haben 959 für die Resolution gestimmt, davon kamen 546 Stimmen von der Recht und Gerechtigkeit Partei (PiS), 311 Stimmen entfielen auf Vertreter*innen lokaler oder regionaler Wahllisten und 93 Stimmen kamen von der Polnischen Volkspartei (PSL). Im Vergleich dazu gab es insgesamt 167 Stimmen gegen die Resolution, davon 87 Stimmen von lokalen oder regionalen Listen sowie 56 Stimmen von der Bürgerkoalition (KO). Zudem gab es 73 Enthaltungen.

Tabelle: Stimmen für und gegen der Resolutionen gegen die „LGBT-Ideologie“ in ganz Polen.  Quelle: https://docs.google.com/spreadsheets/d/15yrxAGCj9RKop_IBz35OuD5KKylSIHUVnpfJ2b5W8Xg/edit#gid=919299813 [letzter Zugriff am 19.8.2020]

 

 

Bei der Charta der Familienrechte haben 532 der insgesamt 887 Stimmberechtigten die Charta unterstützt, es gab 184 Gegenstimmen. Dabei war die Unterstützung von Mitgliedern der PiS-Fraktionen wieder besonders sichtbar, da 315 der Stimmen aus ihrem Lager kamen, aber es haben auch 165 der Mitglieder lokaler und regionaler Wahllisten dafür gestimmt. Die Ablehnung erfolgte vor allem durch Mitglieder lokaler Wahllisten mit 102 Stimmen und durch die KO mit 56 Stimmen. 53 Personen haben sich enthalten.

Tabelle: Stimmen für und gegen die Charta der Familienrechte in ganz Polen.  Quelle: https://docs.google.com/spreadsheets/d/15yrxAGCj9RKop_IBz35OuD5KKylSIHUVnpfJ2b5W8Xg/edit#gid=1183302830 [letzter Zugriff am 19.8.2020]

Verweigerung von Fördermitteln

Die von den lokalen Behörden verabschiedeten Dokumente haben bei verschiedenen ausländischen und europäischen Institutionen und Partnern Sorgen, Missverständnisse und Ablehnung hervorgerufen. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission sechs polnischen Städten und Gemeinden, die derartige Dokumente verabschiedet haben, kein Geld im Rahmen von kommunalen Partnerschaftsprojekten bewilligt. Als Antwort darauf hat das polnische Justizministerium einer der betroffenen Gemeinden dreimal so viel Geld wie von der EU-Kommission beantragt gegeben (250 000 PLN). Das Ministerium ist offensichtlich bereit, auch weitere Kommunen oder Städte zu unterstützen, die von der EU aus dem genannten Grund nicht gefördert wurden, und zwar aus den Mitteln eines eigentlich für die Opfer von Verbrechen angelegten Fonds.

In den folgenden Texten werden wir beschreiben, wie in den kommunalen und regionalen Ratssitzungen über LGBT+ diskutiert worden ist. Außerdem werden wir analysieren, welches Feedback es von den Partnern der Kommunen in Deutschland auf die in Polen verabschiedeten Dokumente gegeben hat. Wir laden Sie auch dazu ein auf unserer Plattform Polen in der Schule Weiteres zu LGBT+-Rechten nachzulesen.