27.10.2021 - Politik, Gesellschaft , Geschichte

Polen im Krieg – Das Framing des Konflikts zwischen Polen und der Europäischen Union durch die polnische Regierung

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Ende 2021 befindet sich Polen im Krieg. Diesen Eindruck kann man zumindest gewinnen, wenn man die Aussagen polnischer Politiker aus dem Regierungslager der letzten Wochen und Monate untersucht. Die von Premierminister Mateusz Morawiecki ausgesprochene Warnung vor einem „Dritten Weltkrieg“ stellte den jüngsten Höhepunkt sprachlicher Gewalteskalation in der polnischen Politik dar. Dabei lässt sich, bei aller Schwere und Schärfe der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Polen und der Europäischen Union, eines ganz klar festhalten: mit einem wirklichen Krieg zwischen verfeindeten Staaten, Millionenheeren aufeinander feuernder Armeen, Panzerverbänden und Luftwaffengeschwadern, mit täglich tausenden Toten und Verwundeten, mit Not und Elend in der Zivilbevölkerung haben wir es derzeit nicht zu tun. Stattdessen geht es um die ausstehende Umsetzung eines Urteils über die polnische Rechtstaatlichkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durch die polnische Regierung, die zumindest umstrittene Zurückhaltung von EU-Geldern an Polen durch die Europäische Kommission und das jüngste Urteil des polnischen Verfassungstribunals über die teilweise Unvereinbarkeit der EU-Verträge mit der polnischen Verfassung. Dies sind sicherlich nicht zu unterschätzende politische bzw. rechtliche Konflikte, aber eben keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Aber womit haben wir es dann zu tun, wenn Teile der polnischen Politik metaphorisch zum Kriege rüsten?

Der Konflikt zwischen Polen und der EU in der Sprache des Krieges

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Stellungnahmen der politischen Akteure. Am 26. August verkündete Justizminister Zbigniew Ziobro im Programm „Katholischer Rundfunkmorgen“ des Radiosenders Siódma 9 im Hinblick auf das Urteil des EuGH zur Justizreform: „Wir haben es mit Sicherheit mit einer Art – ich zögere nicht, den Ausdruck zu verwenden – hybridem Krieg[1] seitens der Europäischen Union zu tun, der sich de facto gegen das Rechtssystem und das demokratische System Polens richtet.“ „Was sagt uns die Europäische Union? Sie sagt uns, dass die Polen nicht durch demokratische Wahlen auf einen Wandel, einen wirklichen Wandel im Bereich der Justiz hinwirken darf.“ „Die Deutschen dürfen, der deutsche Staat darf, aber ihr Polen dürft nicht.“[2]

Während einer Rede im Rahmen einer Veranstaltung am 9. September in Radom anlässlich des 76. Jahrestages der Befreiung von Soldaten der Heimatarmee aus dem Gefängnis des Polnischen Amtes für Staatssicherheit äußerte sich der PiS-Abgeordnete Marek Suski wie folgt: „[…] das illegale Polen hat im Zweiten Weltkrieg gegen einen Besatzer gekämpft, es hat gegen die sowjetischen Besatzer gekämpft, und wir werden jetzt gegen die Brüsseler Besatzer kämpfen. Brüssel schickt uns Statthalter, um Polen zur Ordnung zu bringen, um uns in die Knie zu zwingen, damit wir vielleicht ein deutsches Bundesland [niemiecki land] seien und nicht ein stolzer Staat freier Polen.“[3]

Am 14. September kommentierte Suski seine Äußerungen in einem Interview beim Radiosender RMF FM: „Bestimmte Elemente haben sich wie vor dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet. Sie fordern, dass wir die Überlegenheit des europäischen Rechts gegenüber dem polnischen Recht anerkennen. Und wenn nicht, werden wir bestraft.“ „Sie [Brüssel] wollen, dass wir unsere Souveränität aufgeben.“ „Ich habe harte Worte benutzt, um Brüssel klar zu machen, dass wir keine Untermenschen sind. Dagegen müssen wir uns wehren. Eine solche Behandlung dürfen wir nicht akzeptieren.“[4]

Den vorläufigen Höhepunkt in Sachen Kriegsmetaphorik erreichte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki am 24. Oktober 2021. Interview mit der britischen Financial Times, nur wenige Tage nach seiner Rede im Europäischen Parlament und dem Treffen des Europäischen Rats. Auf die Frage, ob Polen bei Entscheidungen wie dem EU-Klimapaket, in Reaktion auf die Zurückhaltung von Geldern durch die EU, ein Veto einlegen würde, antworte Morawiecki: „Was wird passieren, wenn die Europäische Kommission den Dritten Weltkrieg auslöst? Wenn sie den Dritten Weltkrieg auslösen, werden wir unsere Rechte mit allen uns zur Verfügung stehenden Waffen verteidigen.“ „Wir werden nicht kapitulieren, wir werden unsere Souveränität nicht wegen dieses Drucks aufgeben.“[5]

Politisches Framing: Polen im metaphorischen Krieg

In der Politik haben wir es häufig mit komplexen Sachverhalten zu tun, die meist auf ebenso komplexen Ideen und Konzepten basieren. Dies ist auch im Fall der Polexit-Debatte der Fall, in der es um Fragen der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der europäischen Gemeinschaft, die Vorrangstellung des EU-Rechts und die Rolle nationaler Souveränität geht. Politische Kommunikation kann sich daher nicht auf die Übermittlung rein faktenbasierter Information zurückziehen, sondern greift stets auf (metaphorische) Frames zurück. Frames und Metaphern helfen uns, die politische Wirklichkeit, und die ihr zugrunde liegenden Ideen und Konzepte in eine Sprache zu übersetzen, die auf die strukturellen Deutungsrahmen unserer Alltagserfahrungen zurückgreift und somit erst verständlich werden lässt. Dabei sind Frames immer selektiv, indem sie bestimmte Aspekte eines Themas hervorheben und andere in den Hintergrund treten lassen (vgl. Wehling 2017: 42; Łada/Sendhardt 2021). Die Instrumente der Framing-Analyse helfen uns daher zu untersuchen, wie politische Kommunikation einen bestimmten Sachverhalt framt, welche Metaphern Verwendung finden und welche Folgen bestimmte Frames für (un)mögliche Anschlusskommunikation haben.

Wenn ich in Anlehnung an die Kognitionsforschung (Lakoff/Johnson 2018 [1997]: vgl.; Lakoff/Wehling 2009; Wehling 2017) von Metaphern spreche, sind damit keine poetischen Metaphern im Sinne rhetorischer Stilmittel gemeint, sondern konzeptuelle Metaphern, die – beinahe unbemerkt – unser alltägliches Verständnis von Politik strukturieren (Lakoff/Johnson 2018 [1997]: 11). Aus dieser Perspektive sprechen wir über die politische Auseinandersetzung „als Kampf [bzw. Krieg], weil wir über sie als Kampf [bzw. Krieg] denken“ (Lakoff/Wehling 2009: 19). Die Kommunikation der polnischen Regierung rund um den Konflikt mit der EU framt diese Auseinandersetzung mittels der Metapher Argumentieren bzw. Diskussion ist Krieg (Lakoff/Wehling 2009: 20; Lakoff/Johnson 2018 [1997]: 12). Dabei ist die Kriegs-Metapher eine spezielle und radikalisierte Form der Metapher Diskussion ist physische Auseinandersetzung (Lakoff/Wehling 2009: 20) oder, mit anderen Worten: Politik ist Kampf (Łada/Sendhardt 2021: 34-37).

Das Framing des Konflikts zwischen Polen und der Europäischen Union als Krieg bleibt nicht ohne Folgen. Schließlich sind im Kriegsfall die im Friedenszustand üblicherweise geltenden Regeln und Gesetze aufgehoben, es gilt eine Art Ausnahmezustand. Zudem sind während der Kampfhandlungen andere Kommunikationskanäle ausgesetzt. Erst ein (vorläufiger) Waffenstillstand kann wieder Raum und Zeit für direkte Verhandlungen schaffen. Gleichzeitig ist die Rede vom Krieg immer mit einem latenten Appell verbunden, die innenpolitischen Auseinandersetzungen einstweilen ruhen zu lassen und sich im Namen des Patriotismus auf den Abwehrkampf zu konzentrieren. Im Falle Polens hat die Rede vom Krieg, zumal vom Dritten Weltkrieg, noch weitreichendere Auswirkungen.

Selbstverständlich knüpft das Framing des Konflikts als Dritter Weltkrieg unmittelbar an die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs an. Dies hat dreierlei Folgen. Zum einen sind die Rollen von Opfer und Täter, von Gut und Böse, klar verteilt. Polen ist in dieser Lesart eindeutig als Opfer zu identifizieren, das sich eines heimtückischen Angriffs von außen durch den Täter EU erwehren muss. Insofern stehen Polen aus moralischer Sicht in diesem Frame sämtliche Möglichkeiten der (Selbst-) Verteidigung offen. Die Tatsache, dass Polen mit seiner Haltung EU-weit, vielleicht mit Ausnahme Ungarns, relativ allein auf weiter Flur steht, unterstützt den Frame des Weltkriegs. Schließlich haben Frankreich und Großbritannien Polen beim Angriff des Deutschen Reiches im September 1939, trotz anderslautender vorheriger Zusagen, ebenfalls im Stich gelassen.

Zweitens steht in diesem Frame nicht weniger als die polnische Souveränität und damit Polens Staatlichkeit an sich auf dem Spiel. Dies war im Zweiten Weltkrieg so und ist, in dem von der polnischen Regierung perpetuierten Framing, auch heute im Konflikt mit den Institutionen der Europäischen Union der Fall. Es geht also um nichts weniger als die Existenz Polens, den Fortbestand des polnischen Staates. In einer solchen Situation ist jedes Mittel recht. Die polnische Regierung erfüllt in diesem Fall lediglich ihre grundlegende Pflicht, den Fortbestand des polnischen Staates unter allen Umständen und mit allen ihr zur Verfügung stehende Mitteln sicherzustellen. Kritik im politischen Innern seitens der Opposition kann in diesem Fall nur als Defätismus und Verrat verstanden werden, Kritik von außen hingegen als Verbündung mit dem Feind.

Drittens steckt im Frame der Auseinandersetzung Polens mit der EU die Überzeugung, dass es nicht so sehr die europäischen Institutionen sind, mit denen Polen im Streit liegt, sondern dahinterstehende politische Kräfte, allen voran Nachbar und EU-Mitgliedstaat Deutschland. Hierdurch ist jegliche Kritik deutscher Politiker:innen am Vorgehen Polens von vornherein moralisch diskreditiert und zum Scheitern verurteilt. Auch werden aus Deutschland stammende EU-Politiker:innen von der polnischen Regierung absichtsvoll als deutsch und nicht etwa als europäisch markiert. In der Vergangenheit bezog dies auch – wohl nicht zuletzt aufgrund ihrer „deutsch klingenden Namen“ – nicht-deutsche Politiker wie den Niederländer Frans Timmermans und den Luxemburger Jean-Claude Juncker mit ein.

Fazit

„Frames, nicht Fakten bedingen unser Entscheidungsverhalten“ (Wehling 2017: 45). Die Rede vom Krieg in der polnischen Politik ist damit alles andere als konsequenzlos. Die Sprache des Krieges schränkt den Kommunikations(spiel)raum notwendigerweise ein. Der Besatzer kann nicht mit Gesprächsangeboten reagieren. Der Krieg ist im Prinzip auch ein Zustand der politischen Auseinandersetzung, in dem der Dialog ruht und erst nach Aushandlung eines Waffenstillstandes wiederaufgenommen werden kann. Die Tatsache, dass die polnische Regierung die aktuelle Auseinandersetzung mit der EU mithilfe der Metapher des Krieges framt, ist demnach weder belanglos noch sollte sie als bloßes rhetorisches Stilmittel abgetan werden (Regierungssprecher Piotr Müller etwa erklärte in einem Presse-Briefing, es handele sich bei der Rede Morawieckis von einem „Dritten Weltkrieg“ um „eine Hyperbel, ein rhetorisches Mittel“).[6] Vielmehr stellt die politische Kommunikation des polnischen Regierungslagers den wiederholten und kollektiven Versuch dar, das in der polnischen Öffentlichkeit vorherrschende Verständnis des Konflikts Polens mit der EU in Richtung einer kriegerischen Auseinandersetzung mit klar verteilten Rollen und eindeutiger moralischer Bewertung zu framen. Dabei ist nicht entscheidend, ob die sprechenden Akteure manipulativ vorgehen oder tatsächlich die politische Welt in diesen Frames wahrnehmen. Entscheidend ist, dass durch das Aufrufen der Frame-Semantik (Zweiter Welt-) Krieg ein metaphorischer Deutungsrahmen aktiviert wird, innerhalb dessen der Konflikt zwischen Polen und der EU verständlich wird. „Es ist aber ein Verständnis,“ in den Worten von Lakoff/Wehling (2009: 31) gesprochen, „das bestimmte Aspekte hervorhebt und andere ausblendet. Und gleichzeitig wird ein alternatives metaphorisches Verständnis der Lage ausgeschlossen oder doch zumindest erheblich erschwert. Es ist also von höchster Relevanz, welche Metaphern wir in der politischen Sprache benutzen, denn sie entscheiden darüber, was wir – Sprecher und Hörer – denken. Und was wir nicht denken, weil es in der gewählten Metapher nicht vorkommt.“

Literatur

Łada, Agnieszka/Sendhardt, Bastian 2021: Das Bild der Krise. Wie schrieben die deutsche und die polnische Presse über das jeweilige Nachbarland im ersten Halbjahr 2020?, Darmstadt, Warschau.

Lakoff, George/Johnson, Mark 2018 [1997]: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg.

Lakoff, George/Wehling, Elisabeth 2009: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht, Heidelberg.

Wehling, Elisabeth 2017: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht, Bonn.



[1] Die kursiven Hervorhebungen der Kriegsmetaphern stammen von mir.

[6] https://dorzeczy.pl/opinie/216853/hiperbola-mueller-o-wypowiedzi-morawieckiego-dla-financial-times.html

 Der Text entstand im Rahmen des Projekts „Akteure, Felder, Wege – deutsch-polnische Kommunikation: Miteinander und übereinander”, welches das Institut für Öffentliche Angelegenheiten und das Deutsche Polen-Institut dank der finanziellen Förderung durch die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung durchführen.