16.12.2022 - Gesellschaft , Politik

Wahlergebnis und Alter – Fakten und Zusammenhänge

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Der Wahlkampf, der in Polen schon seit Wochen inoffiziell läuft, wirft die Frage auf, mit wieviel Unterstützung die verschiedenen Parteien rechnen können. Eine der Variablen, die bei den meisten Wahlen berücksichtigt wird, ist das Alter. Jüngste Analysen zeigen, dass dieser Faktor in Polen nicht nur die Unterstützung für Parteien, sondern auch die Wahlbeteiligung regelmäßig beeinflusst. Und da die endgültige Zusammensetzung der Regierungskoalition nach den Wahlen wahrscheinlich durch wenige Prozentpunkte entschieden wird, ist es besonders interessant (für die Parteien selbst und die Beobachter) zu wissen, auf welche Altersgruppen welche politische Gruppierung rechnen kann.

Lehre aus der Geschichte

Wie in vielen Demokratien verteilt sich die Unterstützung für die einzelnen Parteien auch in Polen in unterschiedlichen Altersgruppen unterschiedlich. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2019 gewann die PiS zwar in allen Altersgruppen, aber in der Gruppe der über 60-Jährigen erhielt sie relativ gesehen die meiste Unterstützung. Für die PO haben am häufigsten die 40-Jährigen gestimmt. Und das damalige Linksbündnis sowie die rechte Konföderation waren die beliebteste Wahl bei den jüngsten Wählern.

 

Abbildung 1: Wahlverhalten nach Alter, Parlamentswahlen 2019.

Quelle: IPSOS für TVP, TVN24 und Polsat, 2019 laut https://www.tvp.info/44775931/glosowanie-wedlug-wieku-najmlodsi-wyborcy-za-pis, und Polnische Wahlkommission, eigene Darstellung

 

2015 waren bei PiS und PO die Tendenzen ähnlich wie 2019. Damals aber war die systemkritische Gruppierung KUKIZ´15 unter den jüngsten Wählern besonders beliebt gewesen, während die vereinigte Linke bei den ältesten zur Wahl gehenden Bürgerinnen und Bürgern am besten abgeschnitten hatte.

 

 Abbildung 2: Wahlverhalten nach Alter, Parlamentswahlen 2015.

Quelle: IPSOS für TVP, TVN 24 und Polsat, 2015 laut wp.pl, und Polnische Wahlkommission eigene Darstellung

Die aktuellen Umfragen

Das in den aktuellen Umfragen angegebene Wahlverhalten muss aber mit Vorsicht analysiert werden, weil die Wahlen erst in mehreren Monaten stattfinden und Ergebnisse, die am gleichen Tag von verschiedenen Meinungsinstituten veröffentlicht werden, sich manchmal ziemlich unterscheiden. So soll nach aktuellsten Einschätzungen laut Kantar (12.12.2022) die Wahlen die KO mit 32% und mit einem Vorsprung vor der PiS (28%) gewinnen; auf dem dritten Platz soll die Linke mit 10% vor Polen 2050 (9%) stehen. Laut CBOS werden die PiS (31%) und erst danach die KO (21%) die meisten Stimmen bekommen, während Polen 2050 (11%) vor der Linken (4%) landen soll.

Da nur CBOS die Altersunterschiede publiziert, lässt nur diese sich entsprechend analysieren. Deutlich wird dabei, dass eine sehr große Gruppe junger Wähler noch nicht weiß, wem sie ihre Stimme geben wird (38%). Bei dieser Gruppe landet die PiS mit nur 7% erst auf dem vierten Platz, während die KO und Konföderation um Platz eins kämpfen. Die heutige  Regierungspartei vereint hingegen eine große Zahl der Stimmen bei Wählern, die 55 Jahre alt oder älter sind, während Polen 2050 besonders unter 25- bis 34-Jährigen beliebt ist.

 

 Abbildung 3: Deklariertes Wahlverhalten bei den nächsten Parlamentswahlen nach Alter, Dezember 2022. Quelle: CBOS Dezember 2022, eigene Darstellung

Alter und Wahlbeteiligung

Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist die Wahlbeteiligung nach Altersgruppen. Bei den 18- bis 29-Jährigen gaben 2019 nur 46,4% Wahlberechtigte ihre Stimme ab. Im Vergleich zu anderen Altersgruppen war dies eine niedrigere Wahlbeteiligung. Am besten schnitten damals die 40- bis 49-Jährigen mit einer Wahlbeteiligung von 75,7% ab, während die 30- bis 39-Jährigen mit 60,3%und die über 60-Jährigen mit 66,2% eine Wahlbeteiligung von mehr als 60 Prozent erreichten. In der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen gingen 59,6% der Wahlberechtigten zur Wahl.

Die neusten Umfrageergebnisse zeigen, dass 77% der Bürger Polens an den Wahlen teilnehmen möchte, wobei die geringste Bereitschaft bei den jüngsten Wählern zu verzeichnen ist. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die in Umfragen, die vor den Wahlen durchgeführt werden, geäußerte Wahlbereitschaft in Polen immer deutlich höher ist als die endgültige Beteiligung am Wahltag.

 

Abbildung 4: Deklarierte Wahlbeteiligung bei den nächsten Parlamentswahlen nach Alter, Dezember 2022. Quelle: CBOS Dezember 2022, eigene Darstellung

 

Umso mehr lautet die Frage: Was ist für eine bestimmte Altersgruppe ausschlaggebend, um wählen zu gehen.

Antworten auf diese Frage liefert ein vor Kurzem veröffentlichter Text von Mikołaj Cześnik und Piotr Zagórski: „Wiek a uczestnictwo wyborcze w Polsce: cykl życia, okres, kohorta“ (Das Alter und die Wahlbeteiligung in Polen: Lebenszyklus, Zeitraum, Kohorte). Die Autoren analysieren drei Aspekte der Auswirkungen des Alters auf die Wahlbeteiligung in Polen, und zwar: Lebenszyklus (also, ob man sich noch in der Ausbildung befindet, schon länger berufstätig ist und Familie hat oder auch langsam die Energie verliert und nicht mehr ohne Probleme zum Wahllokal gelangt), generationelle Erfahrungen (also ob eine bestimmte Generation etwas erlebt hat, was ihre politische Einstellung länger prägt – wie eine Revolution, ein Krieg oder ein Systemwechsel) und Kohorten (also ob eine Generation besondere Merkmale hat, die sie besonders motivieren, an Wahlen teilzunehmen). Ihre Schlussfolgerungen sind wichtig, wenn man die laufenden Vorbereitungen der politischen Parteien für die Parlamentswahlen 2023 besser verstehen will.

Laut Cześnik und Zagórski sind für die Wahlbeteiligung in Polen eher der Lebenszyklus und weniger die Erfahrungen und Kohorten selbst entscheidend. Anders gesagt - die von den beiden Wissenschaftlern festgestellten systematischen Unterschiede in der Wahlbeteiligung zwischen verschiedenen Altersgruppen sind kein Beleg für generationsbedingte Unterschiede in der (Bereitschaft zur) Wahlbeteiligung. Von größerer Bedeutung sind der Lebenszyklus und seine Phasen. Zum Beispiel kommt es bei den (relativ aktiven) 40-jährigen Wählern auf ihr Alter an (zum Zeitpunkt der Wahl) und nicht auf das Jahr ihrer Geburt. Darüber hinaus ist sichtbar, dass in einem bestimmten Alter die Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe wieder sinkt.

Menschen unterschiedlichen Alters haben eine unterschiedliche Neigung, sich an Wahlen zu beteiligen. Laut den Autoren ähnelt das allgemeine Muster in Polen dem, das in anderen Demokratien (und in anderen Studien über polnische Wahlen) zu beobachten ist: die höchste Wahlbeteiligung ist bei Menschen mittleren Alters zu verzeichnen, die niedrigste bei den jüngsten und ältesten wahlberechtigten Bürgern. Diese Feststellung gewinnt an Bedeutung, wenn man die demografische Entwicklung in Polen beobachtet, die die polnische Wählerschaft fundamental verändert. Die Gruppe der ältesten Wähler, die beruflich nicht mehr aktiv sind, aber hohe soziale Erwartungen haben, wird (demografisch gesehen) immer zahlreicher. Die Zahl der jüngsten Wähler wird dagegen immer geringer – und sie beteiligen sich zudem noch seltener an den Wahlen –, was am Ende auch das Wahlergebnis beeinflussen kann.

Die Analysen zeigen auch, dass die in der polnischen Gesellschaft bestehenden Verbindungen zwischen Alter und Wahlbeteiligung im Laufe der Zeit recht stabil geblieben sind. Bei allen von den Autoren analysierten Wahlen konnten ähnliche Muster festgestellt werden. Natürlich schwankt die Wahlbeteiligung in Polen, das Verhältnis dieser Variable zum Alter bleibt jedoch (relativ) auf dem gleichen Niveau. Dies bedeutet also (indirekt), dass generationsbedingte Faktoren weniger wichtig für die Wahlbeteiligung sind als der Lebenszyklus. Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass diese relative Irrelevanz der Generationserfahrungen der polnischen Wähler (zumindest was die Wahlbeteiligung betrifft) rätselhaft ist. In der polnischen Gesellschaft, deren Generationen (vor allem einige von ihnen) in den letzten hundert oder mehr Jahren oft sehr schmerzhafte historische Erfahrungen machen musste, müsste die Rolle der Generationserfahrung doch eigentlich bedeutend sein. Die Erfahrungen der Generationen spielen zwar in verschiedenen Lebensbereichen eine Rolle, aber der hier zitierten Analyse zufolge beeinflussen sie nicht das Wahlverhalten selbst.

Junge Wähler doch wahllustig

In diesem Muster gibt es eine Ausnahme. Die Generationen geboren nach 1990 neigen dazu, sich öfter als ihre Vorgänger an Wahlen zu beteiligen, was sehr wichtig für die kommenden Jahre sein kann. Das ist auch einer der Gründe, warum vor allem Parteien, die auf die jüngsten wahlberechtigten Jahrgänge setzen, sich Mühe geben (und geben sollen), diese Personen inhaltlich davon zu überzeugen dieser Tendenz auch weiter treu zu bleiben. So betonen sowohl die Bürgerplattform als auch die Partei von Szymon Hołownia die Umweltaspekte bei ihren Wahlveranstaltungen, die von den jungen Polen für viel wichtiger wahrgenommen werden. Die Partei die Linke macht die LGBT und Frauenrechte zu einem ihrer Hauptwahlkampfthemen. Und alles spricht dafür, dass sich diese Tendenzen noch verstärken werden. Eine Gefahr, junge Bürger in den Wahllokalen zu verlieren, birgt allerdings die heftige Polarisierung der polnischen politischen Landschaft. Der sich seit Jahren hinziehende Streit zwischen zwei „ewigen“ politischen Führern, Jarosław Kaczyński und Donald Tusk, ist für viele junge Wähler eher abschreckend als motivierend. Für Teile der älteren Altersgruppen ist es hingegen besonders wichtig, noch einmal für „ihre“ Partei abzustimmen. Was am Ende den Ausschlag gibt, wird man erst im Herbst 2023 sehen.