16.05.2023 - Politik

Wahlrecht und Wahlsystem

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Im Herbst dieses Jahres finden in Polen nach vier Jahren turnusmäßig Parlamentswahlen statt. Dabei werden sowohl sämtliche 460 Abgeordnete der unteren Kammer, des Sejm, als auch sämtliche 100 Abgeordnete der weniger bedeutsamen oberen Kammer, des Senats, für eine Amtszeit von vier Jahren neu gewählt. Es sind die nunmehr zehnten Parlamentswahlen in der seit 1989 bestehenden Dritten Republik. Zur Wahl aufgerufen sind rund 30 Millionen polnische Staatsbürger im In- und Ausland. Alle polnischen Staatsbürger genießen das aktive Wahlrecht ab 18 Jahren, das passive Wahlrecht ab 21 Jahren für den Sejm bzw. ab 30 Jahren für den Senat.

Die Festlegung des endgültigen Wahltermins obliegt laut Verfassung dem Präsidenten. Der Termin muss innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen vor Ablauf der vierjährigen Legislaturperiode von Sejm und Senat liegen und auf einen arbeitsfreien Tag, in der Regel ein Sonntag, fallen. Dementsprechend kommen folgende Wahltermine in Frage: der 15. Oktober, der 22. Oktober, der 29. Oktober oder der 5. November. Den genauen Termin wird Staatspräsident Andrzej Duda im Sommer festlegen, spätestens jedoch am 14. August. Die Abstimmung findet am Wahltag in den Wahllokalen in der Zeit von 7 bis 21 Uhr statt.

Sejm

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Bei den Wahlen zum Sejm treten die Kandidaten in insgesamt 41 Wahlkreisen auf Listen an, es gilt das Verhältniswahlrecht. Je nach Größe werden pro Wahlkreis zwischen 7 (wie im Wahlkreis Nr. 28 Częstochowa) und 20 Mandate (wie im Wahlkreis Nr. 19 Warszawa I) vergeben. Es gilt eine Sperrklausel von 5 Prozent für Parteien bzw. von 8 Prozent für Wahlbündnisse, die aus mehreren Parteien bestehen. Ausgenommen von der Sperrklausel sind die Parteien der nationalen Minderheiten, von denen allerdings nur die Partei der deutschen Minderheit regelmäßig, zuletzt mit nurmehr einem Abgeordneten, ins Parlament einzieht. Die Wähler haben jeweils eine Stimme für einen der Listenkandidaten ihres Wahlkreises. Nach der Wahl werden die Sitze proportional auf die Listen der Wahlkreise verteilt, und die Parteien mit ihren Kandidaten auf den Listen erhalten die Sitze entsprechend der Gesamtzahl der für sie auf einer bestimmten Liste abgegebenen Stimmen. Die Mandatszuteilung findet nach dem d’Hondt-Verfahren statt, das prinzipiell größere Parteien bevorzugt (siehe auch den DPI-Blogbeitrag zur Frage gemeinsamer Listen der Oppositionsparteien).

Senat

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Bei den zeitgleich stattfindenden Senatswahlen gilt das relative Mehrheitswahlrecht (winner takes all-Prinzip) mit Einpersonenwahlkreisen. Dies ermöglichte es den Parteien der politischen Opposition bei den letzten Wahlen 2019, durch den sogenannten „Senatspakt“ eine knappe Mehrheit in der oberen Kammer des polnischen Parlaments zu erzielen. Die insgesamt 100 Mitglieder des Senats werden in ebenfalls 100 Wahlkreisen gewählt. Der Wahlkreiskandidat mit den verhältnismäßig meisten Stimmen gewinnt den Wahlkreis und erhält das Abgeordnetenmandat.

Novellierung des Wahlgesetzes 2023

Am 26. Januar 2023 nahm der Sejm die Novelle des polnischen Wahlgesetzes (kodeks wyborczy) an. Der Gesetzentwurf ging dann weiter an den von der politischen Opposition dominierten Senat, der den Entwurf ablehnte. Daraufhin kehrte er zurück an den Sejm, der sich dem Entschluss des Senats jedoch nicht anschloss und dessen Entscheidung mehrheitlich überstimmte. In der Konsequenz unterzeichnete Präsident Andrzej Duda am 13. April die Gesetzesänderung, die damit in Kraft trat.

Laut offiziellen Verlautbarungen der Regierung ist es Ziel der Novelle, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Diese lag bei den letzten Parlamentswahlen 2019 mit 61,74 Prozent jedoch bereits vergleichsweise hoch, bei den Präsidentschaftswahlen 2020 erreichte sie sogar 64,51 Prozent im ersten bzw. 68,18 Prozent im zweiten Wahlgang. Kritiker bemängeln, dass die Novelle etliche Änderungen enthalte, die vor allem der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) zupasskommen dürften.

So sieht die Gesetzesänderung die Möglichkeit zur Einrichtung neuer Stimmbezirke (obwody głosowania) vor. Konnten diese vor der Novelle 500 bis 4000 Bewohner umfassen, sieht die Gesetzesänderung vor, dass fortan bereits ab 200 Einwohnern ein neuer Stimmbezirk eingerichtet werden kann. Neu ist ebenfalls, dass die Einwohner selbst die Einrichtung eines neuen Stimmbezirks beantragen können. Hierfür müssen sich fünf Prozent der wahlberechtigten Bewohner eines Stimmbezirks an den zuständigen Wahlkommissar wenden, der die Neuaufteilung eines bestehenden Stimmbezirks und die Einrichtung eines neuen Wahllokals vornehmen kann. Diese Möglichkeit dürfte vor allem auf dem Land genutzt werden. Kritiker stimmen darin überein, dass diese Änderung die PiS begünstigt, die eine große Unterstützung innerhalb der ländlichen Bevölkerung genießt. Denn je kleiner Stimmbezirke sind, desto näher liegt das Wahllokal und desto höher dürfte die Wahlbeteiligung sein. Auch ein weiteres Element der Gesetzesnovelle dürfte tendenziell auf die potenzielle Wählerschaft der PiS abzielen. So sieht das Gesetz vor, dass die Gemeinden für Wähler mit Behinderung sowie für Wähler ab 60 Jahren einen kostenlosen Transport vom Wohnort zum Wahllokal organisieren müssen, sofern der Wähler diesen Bedarf bis 13 Tage vor dem Wahltermin mitgeteilt hat. Somit realisiert die Gesetzesänderung den Vorschlag des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, der Ende 2022 darüber sprach, zusätzliche Wahllokale in Ortschaften zu schaffen, in denen die Bevölkerung regelmäßig zur Kirche geht (miejscowości kościelne), also Ortschaften, die sich in der Regel auf dem Land befinden, deren Einwohnerschaft  großteils bereits das Seniorenalter erreicht hat und daher, statistisch gesehen, mit hoher Wahrscheinlichkeit für die PiS stimmen wird.