06.05.2022 - Gesellschaft , Politik, Kultur, Geschichte

Wie ich in Deutschland als Polin aufwuchs

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Die meisten polnischen Einwanderer kamen in den 1980er Jahren nach West-Deutschland, die Zahl der Solidarność-Flüchtlinge und der sog. Aussiedler reichte damals an die 800.000. Ihre Kinder sind in der deutschen Gesellschaft längst angekommen, ihre Präsenz wird in Medien, Politik und Öffentlichkeit immer sichtbarer. Heute wächst eine jüngste Generation – die der deutsch-polnischen Teenager – heran und reflektiert selbstbewusst über deutsch-polnische Befindlichkeiten. Hier ein Bericht der Gymnasiastin Maria Ozimek aus Seeheim-Jugenheim (17), die im März und April 2022 ihr Schulpraktikum im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Deutschen Polen-Institut absolviert hat.

Wie ich in Deutschland als Polin aufwuchs

 In Deutschland bin ich Polin und in Polen bin ich Deutsche.

 Seit klein auf sehe ich die verschiedenen kulturellen und sprachlichen Unterschiede. Im normalen Alltag sind Deutsche und Polen äußerlich nicht verschieden, wir sind Nachbarn, Mitteleuropäer und doch leben wir in zwei Welten. Die verschiedenen Traditionen, zum Beispiel wie die Polen den Winter „ertränken“ oder an Heiligabend kein Fleisch essen, das ist in Deutschland undenkbar.

 Ich bin 2005 in Deutschland geboren und aufgewachsen, meine Eltern sind beide Polen. Die Nationalität musste ich nie wirklich verstecken. Mit der Familie spreche ich Polnisch und Deutsch. Ausländer und binationale Menschen sind normal in Deutschland. Die Vielfalt, kulturell und sprachlich, ist kein ,,Hexenwerk″ des 21. Jahrhunderts. Wir waren nicht einfach plötzlich da.

 Die Reaktionen, wenn ich mich als Deutsch-Polin ,,oute‘‘, sind überraschend unterschiedlich. Obwohl die Polen zur zweitgrößten Einwanderungsgruppe gehören und das Land der drittgrößte Handelspartner von Deutschland ist, sind Vorurteile leider immer noch gegenwärtig. Mir erzählte man, dass Polen nur Alkoholiker und Diebe seien, die darauf folgenden ,,Polen-Witze‘‘ haben es auch nie ,,beschönigt‘‘ oder ,,gerechtfertigt‘‘. Ein weiteres Vorurteil ist, Polen würden nichts Beständiges in Deutschland suchen und seien da, um zu arbeiten, weshalb die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Eines Sommertages in einem Jugendcamp beschuldigte ein Junge mich des Diebstahls, nachdem etwas bei ihm verschwunden war. ,,Es war die Polin!‘‘ rief er laut, zu dem Zeitpunkt war ich gerade einmal zwölf. Am Ende wurde der Gegenstand im Koffer des Suchenden gefunden, er hatte es verlegt.

ImageOzimek1 Auf der anderen Seite gibt es größtenteils positive Äußerungen. Manche Menschen sind erstaunt und zeigen großes Interesse: Woher kommt die Familie? Wie ist die Kultur? Und wie kam die Familie nach Deutschland? Ich spreche gerne über die schönen Sommer und Winter in Polen, über das gute Essen und die Familie dort, es gibt mir ein gewisses Heimatgefühl. Danach wollen viele einen polnischen Satz hören und sind begeistert, wenn sie nichts entschlüsseln können. Umgekehrt ist es ähnlich auch in Polen.

 Als Kind fühlte ich mich oft wie eine Fremde in der Schule. Man wollte dazugehören und ich wollte mich anpassen, wie viele andere. Manch einer hat seine Wurzeln eigenständig ignoriert und bei manchen haben die Eltern ausgeholfen. Sie versuchten alle, sich dem deutschen Umfeld anzupassen. Wie einst die Sängerin Alli Neumann formulierte: ,,Wir Polen sind sehr gut darin, die besseren Deutschen zu sein.‘‘

 Eltern aus der ersten Generation übten eine Art ,,Überanpassung‘‘ bei den Kindern aus. Es entstanden Deutsch-Polen, die die Kultur oder Sprache nicht kennengelernt haben. Ihnen wurde ein Anrecht auf ihre Wurzeln verwehrt.

 Es gab aber auch goldene Momente in Deutschland als Deutsch-Polin.

Auch bin ich im Umkreis Darmstadt-Dieburg aufgewachsen und hatte das Glück, dass dieser Landkreis eine große polnische Gemeinde beherbergt. Es gibt den Tanz- und Gesangverein Krakowiak, den Elternverein Die Brücke, wo ich wöchentlich Polnisch-Unterricht hatte, oder die polnischen Gottesdienste in der Liebfrauenkirche in Darmstadt und die öffentliche Bibliothek im Deutschen Polen-Institut. Sie alle gaben meiner Familie, mir und vielen anderen eine Art Gemeinschaftsgefühl und ,,kulturellen Zufluchtsort‘‘.

 In Deutschland bin ich Polin und in Polen bin ich Deutsche und ich liebe es zwischen den beiden Seiten zu kommunizieren.

Letztendlich arbeite ich daran, mein ,,polnisches Selbstbewusstsein‘‘ aufzubauen und zu zelebrieren, mit all seinen Aspekten, historisch, kulturell und sprachlich. Einst meinte die Dramaturgin Eleonore Kalkowska: ,,Polen und Deutschland! Nur wer, wie ich, Substanz dieser beiden Völker im eigenen Blut trägt, kann vielleicht den tragischen Gegensatz in seiner ganzen Tiefe ermessen!‘‘ und vielleicht ist es wahr, dass diese ,,Tiefe‘‘ anfangs existiert. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass man mit einer Brücke aus Verständnis und Wissen diese zwei Parallelen verbinden kann.

 Deutsche und Polen sind unterschiedlich, jedoch können sie auf ihre Art und Weise harmonieren, manchen fällt es schwerer und manchen fällt es einfacher. Ich bin vielleicht in Deutschland eine Polin und in Polen eine Deutsche, aber schlussendlich bin ich stolz, beides zur gleichen Zeit zu sein, als Europäerin.