08.12.2023 - Politik
Alte Hasen und Debütanten: Die neue Regierung von Donald Tusk zwischen politischer Erfahrung und Fachexpertentum
Knapp zwei Monate nach den Parlamentswahlen in Polen steht der Sejm kurz davor, Donald Tusk zum Premierminister zu ernennen und ihn mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Bereits heute lässt sich absehen, wer dem Kabinett Tusk in welcher Position angehören wird. Die Besetzung dieser Regierung ist nicht überraschend. Sie setzt sich aus erfahrenen Politikern und Experten zusammen. Auffallend ist die geringe Anzahl von Frauen in der Regierung.
Experten und erfahrene Politiker
Die Regierungskoalition bilden drei Blöcke, die sich wiederum aus mehreren Parteien zusammensetzen (mehr zu Wahlergebnissen hier). Die Resortverteilung wurde unter den Koalitionspartnern bereits im November festgelegt. Die Mehrheit der Posten ging an die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO). Der Dritte Weg (Trzecia Droga) bekam vier Posten für die Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL, auch Bauernpartei ins Deutsche übersetzt) und drei für Polen2050 (da ihr Chef, Szymon Hołownia der Sejmmarschall werden wollte und auch geworden ist). Die Linke wird für drei Ressorts verantwortlich sein. Hinzu kommen auch zwei Personen ohne Parteizugehörigkeit. In der Regierung finden sich vor allem Politiker mit Regierungserfahrung oder sind so lange in der Politik, dass sie als „political animals“ gelten können.
Donald Tusk (KO), der ehemalige Premierminister (2007-2014) und Präsident des Europäischen Rates (2014-2019) ist zweifelsohne das bekannteste Gesicht der neuen Regierung. Doch auch der nächste Außenminister Radosław Sikorski (KO), der in der Vergangenheit schon Verteidigungs- und Außenminister war und in den letzten Jahren im EU-Parlament saß, ist als Kenner der Materie bekannt und zählt zu den erfahreneren Politikern. Eine weniger offensichtliche Besetzung ist Władysław Kosiniak-Kamysz als Verteidigungsminister (er ist auch stellvertretender Premierminister). Als Chef (seit 2015) der Volkspartei und promovierter Arzt war er schon Minister für Arbeit und Soziales (2011-2015) in der zweiten Regierung Tusk/Kopacz. Der zweite stellvertretende Premierminister und Digitalisierungsminister, Krzysztof Gawkowski, der zudem seit 2019 Parteichef der Linken ist, hat kommunal- und parlamentarische Erfahrung inne.
Der Europaminister Adam Szłapka, vom Beruf Politologe, war zuvor im NGO-Bereich tätig, wo er Projekte aus dem Bereich politische und Europa koordinierte. Als Parlamentsabgeordneter (wurde gerade zum dritten Mal in den Sejm gewählt) saß er im Außenauschuss.
Zwei anderen Minister, Adam Bodnar (Justiz) und Andrzej Domański (Finanzen) kommen aus dem reinen Expertenbereich, sie waren aber immer nah am politischen Geschehen dran. Für beide ist es ein Debüt im Parlament (Bodnar ist Senator, Domański Sejm-Abgeordneter geworden). Der Jurist, Adam Bodnar, war bis 2021 Ombudsman, davor stellvertrender Chef einer der größten polnischen NGOs für Menschenrechte, der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte (Helsińska Fundacja Praw Człowieka). Dem europaweit gut vernetzten Politiker wird die Aufgabe zukommen, die illiberalen Reformen der PiS zurücknehmen müssen. Der Ökonom Domański wiederum war lange als Analyst tätig und in den letzten Jahren Experte des Think Tanks der Bürgerkoalition, des Bürgerinstituts.
Weitere herausfordernde Ressorts übernehmen wiederum erfahrene Politiker, aber auch Fachexperten. Für die Landwirtschaft wird Czesław Siekierski von der PSL zuständig sein. Der an der Agrarhochschule promovierte Ökonom war in der Vergangenheit stellvertretender Agrarminister und EU-Abgeordnete über vier Wahlperioden hinweg. Den Bereich Gesundheit wird Izabela Leszczyna übernehmen. Die Bürgerplatform-Politikerin gilt als Finanzexpertin, auch wenn sie Lehrerein und Polonistin von Beruf ist und nur eine Fortbildung im Gebiet der staatlichen Finanzen absolvierte. Ihre Erfahrung als Staatssekretärin im Finanzministerium und als Abgeordnete des Finanzausschusses mögen ihr helfen, einen schwierigen Bereich wie der Gesundheitssektor anzuführen.
Zwei weitere wichtige Ministerien werden Frauen übernehmen, die in 2016 von der amerikanischen Zeitschrift „Foreign Policy“ in ihre Liste der Top 100 Global Thinkers aufgenommen wurden. Ausschlaggebend hierfür war ihre Beteiligung an der Organisation des „schwarzen Protests“ gegen Projekte zur Verschärfung der Abtreibungsgesetze in Polen. Barbara Nowacka, von der KO, als junge Politikerin engagiert im linken Spektrum der politischen Bühne, Informatikerin, Aktivistin der Frauenbewegung soll das Bildungsministerium leiten. Agnieszka Dziemianowicz-Bąk (Neue Linke) wird für die Familien- und Sozialpolitik zuständig sein. Die promovierte Philosophin und Pädagogin war wissenschaftlich tätig und engagierte sich seit 2015 auch parteipolitisch.
Größere Aufmerksamkeit genießen auch zwei Ministerinnen, die die Partei Polen 2050 repräsentieren, da die meisten Abgeordneten dieser Partei politische Neulinge sind. Das kann man aber über die Klima- und Umweltministerin, Paulina Hennig-Kloska nicht sagen, da es schon ihre dritte Kadenz im Sejm ist (früher repräsentierte sie die Partei Nowoczesna und dann war deshalb Teil der KO). Von der Ausbildung ist sie Politologin und Finanzexpertin. Die zweite Ministerin von der Partei Polen 2050 ist keine Politikerin, aber bekannte Expertin. Katarzyna Pełczyńska-Nałęcz, die das Ministerium für Regionalpolitik leiten soll, ist Soziologin und Politikwissenschaftlerin, Expertin für osteuropäische Fragen. Sie war im Zentrum für Oststudien Vizedirektorin und seine Vertreterin in Brüssel, danach auch Unterstaatssekretärin im Außenministerium von 2012 bis 2014, sowie Botschafterin Polens in der Russischen Föderation von 2014 bis 2016. In den letzten Jahren führte sie das Institut Strategie 2050 - das Think Tank der Partei Polen 2050.
Auch unter den stellvertretenden Ministern befinden sich zahlreiche Experten. Die Lösung, die die Koalitionspartner bei der Aufteilung der Posten gewählt haben, besteht darin, diese Stellen mit Personen aus den beiden anderen Koalitionspartnern als Minister zu besetzen.
Einer der interessanteren Namen unter den stellvertretenden Ministern ist Michał Kołodziejczak im Landwirtschaftsministerium - bis vor kurzem ein Anführer der Bauernproteste, ein wortgewandter und lautstarker junger Landwirt. Donald Tusk hat ihn am Ende der Listenaufstellung auf die KO-Liste gesetzt, und er hat in seinem konservativen Wahlkreis einen Sitz im Sejm gewonnen. Kołodziejczak in die Regierung einzuladen, wenngleich nur als stellvertretender Minister, mag einerseits riskant erscheinen, andererseits ist es auch ein Versuch, einen potenziellen Störenfried durch Einbindung zu neutralsieren.
Kurswechsel? Nicht überall
Die Hauptfrage, die man sich in Polen, aber auch im Ausland stellt, ist, ob diese Besetzung zu einem klaren Kurswechsel in der polnischen Politik führen wird. Hier ist die Antwort ein klares „Jein“. In Bereichen wie Justiz, Kultur, Frauenrechte, Trennung von Kirche und Staat wird die Regierung bestimmt eine andere Politik verfolgen als die Vorgänger. Inwieweit entsprechende Gesetze bald in Kraft treten, ist jedoch auch davon abhängig, ob der Präsident, Andrzej Duda, der aus dem PiS-Lager kommt, sie nicht mit einem Veto stoppen wird. Bei seiner Rede während der allerersten Sitzung nach den Wahlen im Sejm hat er sehr deutlich gemacht, dass er diese Macht nutzen wird. Vorwarnend hat er gleichzeitig der neuen parlamentarischen Mehrheit gesagt, sein potenzielles Veto solle ihnen nicht als Ausrede dienen, ihre Wahlkampfversprechungen nicht realisieren zu können.
In Bereichen wie der Außen-, Sicherheits- und sogar Europapolitik werden die Veränderungen geringer sein. Was sich ändern wird, ist der Stil der Kommunikation, die Bereitschaft zum Dialog und die Einstellung zu den anderen als Partner statt Feinde. Die NATO bleibt der wichtigste Garant für die polnische Sicherheit und die USA der wichtigste Verbündete unabhängig von der politischen Option (es ist aber alles von dem Wahlergebnis in den USA abhängig). In der Europapolitik wird auch Donald Tusk nicht gerne die EU-Reformen, die die Einstimmigkeit in der EU begrenzen sollen, unterstützen. Er wird kaum offen für Flüchtlingsaufnahme sein, weil er weiß, wie skeptisch auch seine Wähler ihr gegenüber bleiben. Aber Entscheidungen der EU-Institutionen wird die neue Regierung schon akzeptieren und im Bereich Justiz solche Reformen durchführen wollen, die es ermöglichen die EU-Gelder für Polen freizumachen. Ob in dem letzten Bereich das Veto des Präsidenten die Pläne blockieren wird, wird sich zeigen.
Frauen in der Minderheit
Von den 26 Posten werden nur acht an Frauen vergeben, und gerade einmal nur fünf werden Ministerien führen (die anderen haben zwar den Titel einer Ministerin, fungieren aber als Beauftragte – für Senioren, Gleichberechtigung, Zivilgesellschaft). Das ist ein mageres Ergebnis, wenn man bedenkt, wie sehr alle Koalitionsparteien betonen, den Forderungen, Bedürfnissen und der Bedeutung von Frauen in Gesellschaft und Politik Rechnung zu tragen.
Dies ist in erster Linie ein Imageproblem, das darauf hinweist, dass die Slogans in der Praxis nicht immer umgesetzt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass frauenrelevante Forderungen nicht umgesetzt werden. Alle Koalitionspartner sind sich dessen bewusst, wie sehr sie ihren Sieg den Stimmen der Frauen verdanken, die zur Wahl gegangen sind, um die PiS von der Regierung abzulösen. Daher wird die Betreuung dieser Wählerschaft wahrscheinlich eine Priorität sein. Dies wurde schon bestätigt, als die neue parlamentarische Mehrheit sich mit dem gesellschaftlichen Gesetzentwurf zur Finanzierung von künstlicher Befruchtung aus dem Staatshaushalt schon an der ersten regulären Parlamentssitzung befasst und ihn schnell durch das Parlament gebracht hat (die Regierung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte die Finanzierung dieses Verfahrens 2015 gestoppt). Weitere Themen, die für Frauen wichtig sind, wie mehr Kitaplätze, mehr Dienstleistungen für Schwangeren, bessere Gesundheitsvorsorge warten. Die Tatsache, dass die für diese Bereiche zuständigen Ministerien von Frauen geleitet werden, dürfte die reibungslose Vorbereitung der Lösungen unterstützen. Noch wichtiger ist aber, dass Tusk selbst der Frauen im Wahlkampf viel versprochen hat und es ist kein Geheimnis, dass er in dieser Regierung das Sagen haben wird.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen
Am Ende wird entscheidend, wie erfolgreich die neue Regierung in der Umsetzung von Wahlversprechen sein wird. Das erfahrene Team ist viel versprechend, aber das Veto des Präsidenten und die Tatsache, dass die Regierung sich aus vielen unterschiedlichen politischen Strömungen zusammensetzt, können konkrete Herausforderungen bedeuten. Andererseits sind alle Koalitionspartner motiviert sich nicht spalten zu lassen auch um bei den kommenden kommunal- und Europawahlen in Frühling stärker und nicht geschwächt aufzutreten. Die ersten hundert Tage sollen schon die ersten Ergebnisse zeigen.
Regierung von Donald Tusk
Donald Tusk (KO) – Premierminister
Władysław Kosiniak-Kamysz (PSL) – stv. Premierminsiter, Verteidigung
Krzysztof Gawkowski (Neue Linke) – stv. Premierminister, Digitalisierung
Adam Bodnar (parteilos) – Justiz
Radosław Sikorski (KO) - Aussenpolitik
Adam Szłapka (KO) - Europaangelegenheiten
Marcin Kierwiński (KO- Inneres und Verwaltung
Tomasz Siemoniak (KO) – Koordinator für besondere Dienste
Bartłomiej Sienkiewicz (KO) – Kultur und Nationale Erbe
Andrzej Domański (KO) – Finanzen
Borys Budka (KO) - Staatsvermögen
Sławomir Nitras (KO) – Sport und Turistik
Barbara Nowacka (KO) – Bildung
Izabela Leszczyna (KO) – Gesundheit
Dariusz Klimczak (PSL) – Infrastruktur
Krzysztof Hetman (PSL) – Entwicklung und Technologie
Czesław Siekierski (PSL) – Landwirtschaft
Paulina Hennig-Kloska (Polska 2050) – Klima und Umwelt
Katarzyna Pełczyńska-Nałęcz (Polska 2050) – Strukturfonds und Regionalpolitik
Agnieszka Dziemianowicz-Bąk (Neue Linke) – Familie und Sozialpolitik
Dariusz Wieczorek (Neue Linke) – Wissenschaft und Hochschulwesen
Marzena Okła-Drewnowicz (KO), Ministerin für Senioren
Katarzyna Kotula (Neue Linke), Ministeri für Gleichberechtigung
Agnieszka Buczyńska (Polska 2050), Ministerin für Zuvilgesellschaft
Jan Grabiec (KO), Chef der Premierministerkanzlei
Maciej Berek (parteilos), Sekrätär des Ministerrates, Chef des Regierung Legislativzentrum