20.06.2023 - Gesellschaft , Politik
Das Souveräne Polen (Suwerenna Polska) – zwischen Blockpartei und Meinungsmacher
Seitdem im Herbst 2015 die Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska, SP) auf der Liste der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) in den Sejm einzog, spielt sie als kleiner Koalitionspartner der PiS die Rolle des Züngleins an der Waage: Ohne ihre Handvoll Abgeordneter hätte die PiS im polnischen Parlament keine Regierungsmehrheit. Mit Parteichef Zbigniew Ziobro besetzt sie das für die Reformvorhaben der Rechts-Regierung zentrale Justizressort und prägt den EU-skeptischen Kurs der Regierung entscheidend mit. Bei den Parlamentswahlen 2023 wird sie aller Vorausicht nach – unter dem kürzlich geänderten Namen Souveränes Polen (Suwerenna Polska, SP) – wieder auf der PiS-Liste antreten, obwohl sie laut Umfragen, würde sie alleine antreten, weniger als 1 Prozent der Stimmen erhalten würde. Woraus rührt die Bedeutung dieser Partei und welche Rolle wird sie im Wahlkampf spielen?
Eine Partei der PiS-Verstoßenen
Gegründet wurde die Partei 2012 unter dem Namen Solidarisches Polen durch einige von der PiS ausgeschlossene bzw. aus der PiS ausgetretene Politiker, die bereits nach den Parlamentswahlen 2011 eine eigene Fraktion gegründet hatten. Treibende Kraft war Zbigniew Ziobro , der bereits in der bürgerlichen Koalitionsregierung[1] im Jahre 2000 kurzzeitig für den damaligen Justizminister Lech Kaczyński arbeitete, 2001 zu den Mitgründern der PiS zählte und nach dem PiS-Wahlsieg 2005 selbst zum Justizminister und in Personalunion zum Generalstaatsanwalt wurde, was er bis zur Abwahl der PiS 2007 blieb. Anschließend war er einer der stellvertretenden Vorsitzenden der PiS. Mehrere Versuche, ihn in den acht folgenden Jahren liberaler Koalitionsregierungen unter Führung der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) wegen – wie es hieß – eklatanten Gesetzesverstößen vor den Staatsgerichtshof zu stellen oder anderweitig juristisch zu belangen, verliefen im Sande oder scheiterten an den notwendigen parlamentarischen Mehrheiten.
Da Ziobro und einige seiner Mitstreiter die Position der PiS-Führung und insbesondere von Parteichef Jarosław Kaczyński infrage stellten und mehr Einfluss in der Partei gewinnen wollten, ließ ihn Kaczyński 2011 aus der Partei werfen. Dieser Konflikt wirkt bis heute nach. Ziobro werden immer wieder Ambitionen auf den Parteivorsitz der PiS nachgesagt, weshalb er bis heute – im Gegensatz zu anderen SP-Politikern – nicht zur PiS zurückkehren darf. Zu seinen größten Gegnern im Regierungslager gehört vor allem das verhältnismäßig pragmatische Milieu um Ministerpräsident Mateusz Morawiecki.
Zbigniew Ziobro 2013. Quelle: Wikimedia Commons
Justizumbau und Law and Order
Ziobros Kernthema ist der seiner Meinung nach schlechte Zustand des Justizsystems und der Kampf um eine bessere Durchsetzung der Gesetze. Seine Forderung nach einer Reform des aus dieser Sicht ineffektiven und von linksliberalen bzw. postkommunistischen Eliten beherrschten Justizwesens stimmte mit den Absichten der PiS überein. Und so zog die PiS 2015 mit diesem Thema in den Wahlkampf, ermöglichte einigen SP-Kandidaten den Start auf ihren Listen und erlangte eine regierungsbildende Mehrheit. Ziobro, der 2015 von den Wählern vom letzten Listenplatz der PiS im Wahlberzirk Kielce in den Sejm gewählt wurde, wurde erneut Justizminister und Generalstaatsanwalt und leitete mit seinem Ressort sowie mehreren der SP angehörigen Staatssekretären die entscheidenden Schritte des Umbaus des Justizsystems ein: Die schrittweise „Übernahme“ des Verfassungsgerichts durch PiS-nahe Richter, die Neuordnung der Richterernennung und -beförderung durch die Umgestaltung des Landesjustizrates, die Bemühungen, durch „Maulkorbgesetze“ nicht im Sinne der Regierung agierende Richter und Staatsanwälte zu schurigeln, sind nur einige der wichtigen Themen in diesem Bereich. Außerdem wollte sich die SP als „Law and Order“-Partei profilieren und setzte sich etwa für eine Verschärfung des Strafrechts ein sowie für die Schließung von Lücken im Steuerrecht, aber auch für eine radikale „Entkommunisierung“ der Behörden und des öffentlichen Lebens. Trotz aller als „Reformen“ etikettierten Aktivitäten stieg die durchschnittliche Verfahrensdauer vor den polnischen Gerichten erster Instanz zwischen 2015 und 2021 deutlich (von 4,1 auf 7,1 Monate).
Europa, Deutschland und der Wald
Zu einem wichtigen Betätigungsfeld wurde die Europapolitik (im Europäischen Parlament gehört die SP wie die PiS der Fraktion Europäische Konservative und Reformer an): Hier nahmen SP-Politiker immer wieder heftig Stellung und kritisierten die – wie sie es formulierten – Beschränkung der polnischen Souveränität durch die Europäische Union. Politiker wie Patrik Jaki, der seit 2019 für die SP im Europaparlament sitzt, oder der Sejm-Abgeordnete Janusz Kowalski, seit 2022 Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, zeichnen sich hierbei durch eine besonders aggressive Rhetorik aus.
Für die polnische Europapolitik hatte die Politik der SP gravierende Auswirkungen. Die vielen Gesetzesinitiativen zum Umbau des Justizwesens, die teils vom Sejm beschlossen wurden, teils aber von Staatspräsident Duda oder unter Druck der europäischen Institutionen zurückgenommen oder „verwässert“ wurden, haben zu einem immensen Durcheinander im Bereich der Judikative geführt. Ein Gutteil der Auseinandersetzungen Polens mit der Europäischen Kommission und die vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelten Problemfelder sind auf das Wirken des Justizressorts unter Zbigniew Ziobro zurückzuführen.
In diesem Zusammenhang fallen regelmäßig auch deutschlandskeptische Äußerungen, und der „Abgeordnete Kowalski“, wie der Politiker ironisch genannt wird, spielt eine führende Rolle dabei, der liberalen Opposition und insbesondere Donald Tusk bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit vorzuwerfen, nach Deutschlands Pfeife zu tanzen. Auch der Staatssekretär im Außenministerium, Arkadiusz Mularczyk, gehörte 2012 zu den Mitbegründern der SP. Er durfte 2017 aber zur PiS wechseln und wurde von Jarosław Kaczyński dann sogleich damit betraut, die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland voranzutreiben.
Im Bereich der staatlich kontrollierten Bereiche der Wirtschaft ist der SP als Pfründe vor allem der Bereich Forstwirtschaft zugefallen – das staatliche Forstunternehmen „Lasy Państwowe“ subventioniert teilweise die Partei bzw. parteinahe Aktivitäten. Ziobro und seine Kreise unterstützen wiederum zahlreiche Initiativen im euroskeptischen bzw. nationalen und nationalistischen Milieu durch Mittel aus dem vom Justizminister verwalteten „Gerechtigkeitsfonds“, der eigentlich Verbrechensopfern helfen, der Verbrechensprävention dienen und Freiwillige Feuerwehren unterstützen soll. Rückendeckung erhielt die SP durch das staatliche Fernsehen, das von 2016 bis 2022 (mit einer kurzen Unterbrechung) von dem als mediale „Bulldogge“ der Rechten bekannte SP-Politiker Jacek Kurski geleitet wurde, der so wie Ziobro 2011 wegen Insubordination aus der PiS geworfen worden war. Enge Beziehungen bestehen auch zu weiteren rechten Medien, etwa dem katholischen Radiosender Radio Maryja.
Zwischen Einbindung und Ausgrenzung
Die SP wiederholte ihren Wahlerfolg als „Blockpartei“ der Regierungskoalition „Vereinigte Rechte“ (Zjednoczona Prawica) 2019 und stellt derzeit 19 Sejm-Abgeordnete sowie ein Mitglied des Senats. Wieder waren Angehörige der verschiedenen Kleinparteien auf der PiS-Liste in den Sejm gewählt worden, weshalb sie keine Prozenthürden (5 Prozent für Parteien, 8 Prozent für Listenverbindungen) überwinden mussten. Neben PiS und SP gehören der Vereinigten Rechten insbesondere die „Republikanische Partei“ (Partia Republikańska, derzeit 9 Sejm-Abgeordnete) an sowie die „Erneuerung der Republik Polen“ (OdNowa Rzeczypospolitej Polski, derzeit 5 Sejm- und 1 Senatsabgeordneter). Die parlamentarische Existenz dieser Parteien hängt letztlich von der Gnade Jarosław Kaczyńskis ab, obschon in der Vergangenheit in der Presse spekuliert wurde, ob Ziobro und seine Leute im Justizressort nicht vielleicht auch etwas in der Schublade hätten, was führende PiS-Politiker belasten könnte.
Letztlich ist die Existenz von Ziobros Partei für Kaczyński aber eine gute Möglichkeit, auf der einen Seite den ihm inhaltlich und mit seinem ausgeprägten Misstrauen in vielen Dingen nahestehenden, zugleich aber auch machtbewussten und konsequent agierenden Ziobro in das Regierungslager einzubinden, gleichzeitig aber auch dafür zu sorgen, dass er ihm und seinen (wechselnden) Protegés in der Regierung nicht zu gefährlich wird und die Macht- und Nachfolgefrage im rechten Lager offen bleibt.
Von der Solidarität zur Souveränität
Hatte der ursprüngliche Parteiname „Solidarisches Polen“ auf die vor zehn Jahren verbreitete Unzufriedenheit vieler Polen mit der wirtschaftsliberalen und wenig auf soziale Themen setzenden Politik der PO unter Donald Tusk zu tun, so erklärt die SP nun diese Etappe für vorerst abgeschlossen. Mit ihrem Namenswechsel zu „Souveränes Polen“ reagiert sie offensichtlich auf eine Umfrage, nach der 45 Prozent aller Polen in der EU-Mitgliedschaft ihres Landes eine Gefährdung seiner Souveränität sehen. In einem programmatischen Text auf ihrer Homepage erklärt die SP nun also den Kampf um die Souveränität Polens zu ihrem neuen Hauptziel:
„Souveränität ist die Fähigkeit, eigenständig und frei über sich entscheiden zu können. (…) Souveränität ist das Recht, auch über seine Heimat entscheiden zu können. Heute werden die polnischen Selbstverwaltungen von der EU erpresst und bestochen. Sie müssen auf Beschlüsse zur Verteidigung der Familie verzichten. Denn anders bekommen sie keine EU-Gelder. Wir sind gegen ein solches Diktat.
Souveränität ist die Freiheit, ein eigenes Gerichtswesen zu gestalten. (…) Wir sind nicht damit einverstanden, dass die EU unrechtmäßig unser Gerichtswesen beeinflusst und entscheidet, wer in Polen regieren soll.“ Im Bereich der Energieversorgung solle Polen weiter auf die einheimische Kohle setzen, es müsse die heimische Landwirtschaft gegen Brüssel verteidigen, die polnische Jugend vor „Sexualisierung“ und Homosexualität schützen, das Erbe von Johannes Paul II. verteidigen. Es müsse auch verhindert werden, dass weitere polnische Wälder als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden. Neue Gesetze, die „Brüssel als Vermittler für Deutschland“ umsetzen wolle, müssten verhindert werden, da sie die polnische Souveränität untergrüben: „Nur ein souveräner Staat, kein aus fremden Hauptstädten verwalteter Staat sichert den Polen eine stabile Entwicklung.“ Mit diesem dezidiert rechtspopulistischen Programm spricht die SP somit eine besonders national und EU-skeptisch gesinnte Wählerschaft an. Ihre Rolle innerhalb der „Vereinigten Rechten“ ist es, der rechtsradikalen und PiS-kritischen Partei „Konföderation“ (Konfederacja) Wähler abzuluchsen. Allerdings ist die SP in Umfragen, in denen sie als eigenständige politische Kraft auftaucht, mit weniger als 1 Prozent Wählerstimmen deutlich weniger erfolgreich als die derzeit zwischen 10 und 14 Prozent liegende Konföderation, deren Vorteil unter anderem darin begründet ist, dass sie noch nie in Regierungsverantwortung gestanden hat. Und auch die Abneigung gegen Parteichef Ziobro ist sehr ausgeprägt: Es gibt keinen polnischen Spitzenpolitiker, der bei den Wählern so unbeliebt wäre (in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage meinen 65,1% der Befragten, sie würden ihm nicht vertrauen, nur 20,5% vertrauen ihm).
Fazit: Vorbereitung auf alle Eventualitäten
Alles deutet darauf hin, dass die SP auch bei den Wahlen im Herbst ihre Kandidaten wieder über die PiS-Liste in den Sejm bringen wird. Es wird an Jarosław Kaczyński liegen, wie viele aussichtsreiche Listenplätze er schließlich dem Koalitionspartner zubilligen wird, wobei viele SP-Politiker aufgrund ihrer meinungsstarken Äußerungen keine geringe mediale Bekanntheit erreicht haben und möglicherweise auch auf schlechteren Plätzen Erfolg haben könnten. Eine SP in der bisherigen Stärke würde im Falle eines Wahlsiegs der „Vereinigten Rechten“ jede Annäherung an die Europäische Kommission erschweren, ja zuweilen wird ihr auch eine Schlüsselrolle bei einem möglichen schleichenden Polexit zugetraut. Im Falle einer Wahlniederlage könnte Zbigniew Ziobro im Zuge der dann unausweichlich einsetzenden Personalrochaden in der PiS um den Führungsanspruch im rechten Lager kämpfen (Jarosław Kaczyński ist immerhin schon 74 Jahre alt). Aber auch eine komplette Neuordnung der politischen Landschaft rechts von der Mitte ist denkbar. Sollte die „Vereinigte Rechte“ die Wahlen verlieren und die „demokratische Opposition“ die Regierung bilden, wäre allerdings auch abzuwarten, ob das von führenden politischen Akteuren der Opposition angekündigte konsequente Vorgehen gegen die mannigfachen Verstöße der PiS-Regierung gegen die Verfassung und die Rechtstaatlichkeit, anders als nach 2007, diesmal auch Zbigniew Ziobro gefährlich werden können.
Zbigniew Ziobro im Kreise seiner Anhänger. Quelle: https://suwerennapolska.pl
[1] 1997 hatte die konservative Wahlaktion Solidarität (Akcja Wyborcza Solidarność, AWS) die Wahlen gewonnen und mit der liberalen Freiheitsunion (Unia Wolności, UW) eine Regierungskoalition geschlossen; Jerzy Buzek wurde zum Ministerpräsidenten gewählt. Mitte 2000 trat die UW aus der Regierung aus; in die bis 2001 amtierende AWS-Minderheitsregierung trat u.a. Lech Kaczyński ein.