Kopernikus-Gruppe

Mitteilung über die
Sitzung der „Kopernikus-Gruppe“ am 24./25.11.2006

Am 24. und 25. November 2006 traf sich auf Einladung des Deutschen Polen-Instituts und des Deutschland- und Nordeuropainstituts Stettin die aus deutschen und polnischen Experten bestehende „Kopernikus-Gruppe“ in Berlin zu ihrer vierzehnten Sitzung. Thema der Beratungen war eine „Bestandsaufnahme des aktuellen Stands der deutsch-polnischen Beziehungen“. Am Beginn der Sitzung gaben S. E. Dr. Marek Prawda, Botschafter der Republik Polen in der Bundesrepublik Deutschland, und VLR I Claus Robert Krumrei, Leiter des Referats für Mitteleuropa, die Benelux-Staaten und grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, Statements zur aktuellen Situation ab.
Das vorliegende Arbeitspapier XIII der „Kopernikus-Gruppe“ fasst die gemeinsamen Überlegungen zusammen, wie eine deutsch-polnische Zusammenarbeit im Rahmen der EU-Präsidentschaft Deutschlands zu einer Überwindung der Stagnation auf der Regierungsebene beitragen könnte.

Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt                               Februar 2007
Dr. Kazimierz Wóycicki, Stettin
                                                                                                                


Arbeitspapier XIII
Deutschland, Polen und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft



1. Die Krise der EU

Auch wenn die EU seit ihrem Stimmungstief nach den Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden vom Juni 2005 wieder Tritt gefasst hat: Die Krise des Europäischen Integrationsprozesses ist noch lange nicht vorbei. Zwar ist die Verabschiedung eines Haushalts Ende 2005 gelungen, und das Jahr 2006 brachte wichtige Kompromisse in der Chemikalienpolitik (REACH) und bei der Vollendung des Binnenmarktes bei Dienstleistungen. Auch zeichnet sich – vor allem durch die anspringende Konjunktur in Deutschland – eine wirtschaftliche Belebung in der Eurozone ab.

Aber die Zukunft des Verfassungsvertrags ist weiter ungelöst, zukünftige Erweiterungen sind umstrittener denn je (bei wachsender Ablehnung in einigen Kernländern), und in Umfragen zeigt sich trotz aller Bemühungen in der Öffentlichkeitsarbeit der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen bisher keine Umkehr des Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsverlustes der EU bei Bürgerinnen und Bürgern. Dies bezieht sich allerdings vor allem auf die alten Mitgliedsstaaten der EU. In Polen ist die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft mit der Mitgliedschaft in der EU zufrieden, und EU-Institutionen erfreuen sich eines großen Vertrauens.  

Gleichzeitig sieht sich die EU angesichts der globalen relativen Schwächung der USA und in Anbetracht der immer drängenderen Probleme im Nahen Osten und in der islamischen Welt, in Osteuropa (Kaukasus, Russland, Ukraine, Belarus) und auf dem Balkan (Kosovo/Serbien) globalen Herausforderungen gegenüber, für deren konstruktive Bewältigung eine handlungsfähige und in Grundfragen einige EU dringend nötig wäre.

Die Erwartungen an die Bundesregierung zu Beginn der Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte 2007 sind vor diesem Hintergrund besonders hoch. Die deutsche Regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt: Einen Durchbruch beim Verfassungsvertrag, Erfolge im Bürokratieabbau, Fortschritte in der Energiepolitik und eine Neue Ostpolitik innerhalb der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Dazu kommt externes Krisenmanagement, von den ins Stocken geratenen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bis zur Stabilisierung des Kosovo und zur Nahostpolitik. Es wird der Bundesregierung bestenfalls gelingen, einen Teil dieser Agenda erfolgreich zu bewältigen.


2. Deutsch-polnische Dauerkrise und neue Potenziale

Die deutsch-polnischen Beziehungen auf der Regierungsebene bewegen sich in den letzten Jahren von Krise zu Krise. Das gegenseitige Vertrauen der politischen Eliten ist nachhaltig beschädigt, obwohl die Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher, kultureller und zwischenmenschlicher Ebene als sehr positiv zu bewerten ist. Unterschiedliche und oft gegensätzliche Vorstellungen über Struktur und Ziele der EU spielen dabei eine große Rolle. Waren die Jahre 2003/2004 von den fast diametral entgegen gesetzten Positionen in der Irakfrage und zu einigen Grundaspekten der EU-Verfassung (doppelte Mehrheit) gekennzeichnet, schoben sich 2005 und 2006 die Unterschiede in der Energiepolitik in den Vordergrund, denen eine oft gegensätzliche Einschätzung der Innen- und Außenpolitik Russlands zu Grunde liegt. Diese Meinungsverschiedenheiten wurden manchmal noch überlagert, auf jeden Fall aber wesentlich verschärft durch Spannungen im Umgang mit der Geschichte: Zwangsarbeiter-Entschädigungen, deutsche Kriegsopferdebatte, Zentrum gegen Vertreibungen, Preußische Treuhand. Fast scheint es, als hätte Polens EU-Beitritt in vielen dieser Fragen nicht nur keine Entspannung gebracht, sondern die unterschiedlichen Politikansätze in Berlin und Warschau noch besser sichtbar gemacht.

Dabei sind deutsch-polnische Gegensätze innerhalb der EU kein Naturgesetz. Auch werden sich echte Fortschritte in zentralen Fragen der inneren Struktur oder der Außenbeziehungen der EU nicht erreichen lassen, ohne dass sich beide Länder in der Europapolitik wieder aufeinander zu bewegen. Dies wird in absehbarer Zukunft zwar nur in einzelnen Fragen möglich sein. Folgende Faktoren begünstigen aber ein stärkeres Zusammengehen:           

  • Der „deutsch-französische Motor“ in der EU ist ist in seiner alten Exklusivität Sache des 20. Jahrhunderts. Spätestens seit der Erweiterungsrunde von 2004 hat er seine positive Funktion eingebüßt. Versuche, in kleineren Staatenkoalitionen zugunsten des europäischen Einigungsprozesses zu wirken, bedürfen der Erweiterung, wie sie – leider bisher ohne nachhaltigen Erfolg – in der deutsch-französisch-polnischen Trilaterale (Weimarer Dreieck) gesucht wird.
  • Die in den letzten Jahren spürbare Tendenz der Bundesregierung, im Verhältnis zu Russland die Haltung der ostmitteleuropäischen Nachbarn gering zu schätzen, hat sich seit 2005 merklich abgeschwächt. Die Bundeskanzlerin hat ihre distanziertere Haltung zum russischen Präsidenten, ihre Kritik an inneren Entwicklungen Russlands und ihren Willen zur Berücksichtigung polnischer Standpunkte auch zu anderen Themen mehrfach demonstriert.
  • Die neue Bundesregierung hat die Rolle Deutschlands als Mittler zwischen alten und neuen sowie großen und kleinen, auch zwischen eher atlantisch und eher kontinental ausgerichteten Mitgliedstaaten schon stärker als ihre Vorgängerregierung betont. Das lässt auch für die europapolitische Kooperation zwischen Deutschland und Polen hoffen. Der gelungene deutsch-polnische Kompromiss zum EU-Haushalt 2007-2013 auf dem Gipfel im Dezember 2005 war ein gutes Beispiel für pragmatische, konkrete deutsch-polnische Kooperation in wichtigen Fragen der EU.
  • Die polnische Regierung befürwortet heute eine starke EU mit handlungsfähigen Institutionen und besonders einer starken Kommission nachdrücklicher als je zuvor seit ihrem Amtsantritt 2005. Das bedeutet zwar keine Kehrtwende in Fragen der Verfassung oder der Verlagerung weiterer Elemente von Souveränität auf die EU-Ebene. Es ist aber eine Aufweichung der euroskeptischen Haltung großer Teile der Regierung wie auch eines Teils der politischen Elite. Die polnische Bevölkerung ist gegenüber einer starken EU ohnehin seit Jahren aufgeschlossener als ihre Regierung.

3. Empfehlungen für die deutsche Ratspräsidentschaft:

• Zur Frage der obersten Priorität der Verfassung

Die Bundesregierung hat eine „Roadmap“ zum weiteren Vorgehen in der Verfassungsfrage zur politischen Priorität Nummer Eins gemacht. Ein solcher Zeitplan, der nach der französischen Präsidentenwahl auf dem Junigipfel der Staats- und Regierungschefs zu verabschieden wäre, setzt zumindest den Ansatz einer politischen Lösung des gegenwärtigen Dilemmas voraus, nämlich: Wie man den Willen dreier Staatengruppen unter einen Hut bringt - Staaten, in denen der Vertrag per Referendum abgelehnt wurde (Frankreich und Niederlande), Staaten, die ihn bereits ratifiziert haben (18) und Regierungen, die eine Ratifizierung im Prinzip ablehnen (mindestens drei: Großbritannien, Polen und Tschechien). Ein bestimmtes Maß an Neuverhandlungen wird aber unausweichlich.

Polen ist einer der Staaten, deren gegenwärtige Regierung den Ratifizierungsprozess der Verfassung seit den negativen Referenden von 2005 am liebsten ganz liegen lassen würde. Unabhängig von der gegenwärtigen polnischen Regierung wird dieser Sejm keinen Verfassungsvertrag ratifizieren. Daran wird auch politischer Druck durch die Ratifizierer nichts ändern, solange es um den vorliegenden Text geht, von dem alle Beteiligten wissen, dass er in dieser Form obsolet ist. Dagegen ist es durchaus sinnvoll, Polen bei der für den 25. März geplanten Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge frühzeitig einzubinden. Ob sich hieraus ein wesentlicher Fortschritt in der Verfassungsfrage ergibt, ist fraglich. Eine gemeinsame Verpflichtung zur Weiterverfolgung der Reform der EU allerdings wird Warschauer Unterstützung finden.

• Eine Diversifizierung der europäischen Energieversorgung sollte mit Polen vorangetrieben werden

Energiepolitik ist aus mehreren Gründen eine der wichtigsten Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft: Die offensichtliche Instrumentalisierung von Energielieferungen zur Erzeugung außenpolitischen Drucks durch die russische Regierung via Gasprom seit Ende 2005 hat die politische Bedeutung dieses Sektors enorm ansteigen lassen. Der globale Klimawandel verleiht alternativen Formen der Energiegewinnung größeres Gewicht. Außerdem ist Deutschlands Erfahrung auf diesem Gebiet unbestritten.

Gleichzeitig hat die EU bisher keine Gemeinschaftskompetenzen in der Energieversorgung. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird sich daher zunächst auf die Vollendung des Binnenmarktes und Maßnahmen zur Deregulierung konzentrieren. Viel wichtiger aber werden Pläne zur weiteren Diversifizierung der Versorgung sein. Hierbei hat Polen schon interessante Vorschläge unterbreitet, die eine stärkere Nutzung nordeuropäischer Gasreserven, ebenso wie neue Versorgungswege von Zentralasien über Russland und die Ukraine vorsehen. Mit der Entwicklung neuer Perspektiven sollte die EU-Kommission betraut werden, anstatt eine neue Institution (Energie-Agentur) zu schaffen.

• Eine Neue Ostpolitik der EU kann nur zusammen mit den ostmitteleuropäischen Mitgliedsstaaten entwickelt werden

In der östlichen und südlichen Nachbarschaft bündeln sich die meisten der Zukunftsfragen der EU: Stabilitätsexport, Migration, Energieversorgung, neue Absatzmärkte. Dabei stimmen die deutsche und die polnische Regierung mindestens in der Absicht überein, ähnlich dem von Frankreich initiierten Barcelona-Prozess mit den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers eine Neue Ostpolitik als Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik auszuarbeiten.

Ein wesentlicher und in naher Zukunft nicht auflösbarer Unterschied zwischen den Regierungen in Berlin und Warschau wird in der Frage der Beitrittsperspektive für die Ukraine liegen. Über die Formel einer „europäischen Perspektive“ hinaus, die man Kiew anbieten will und die wenig konkret ist, gibt es hier keinen Konsens. Eine explizite Beitrittsperspektive ist aber auch für andere westeuropäische EU-Mitglieder schwer akzeptabel. Andererseits hätte jede klar ausgedrückte Absage an eine ukrainische Mitgliedschaft eine destabilisierende Wirkung auf die ukrainischen Demokraten, egal, mit wie vielen Partnerschaftsprivilegien sie verbunden sein mag. Umso wichtiger ist, dass die Beitrittsperspektive implizit aufrechterhalten wird und inzwischen die Ukraine wesentlich substanziellere Hilfen bei der Stabilisierung von Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit und beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen erhält.

Ähnliches gilt für die Kaukasus-Staaten, die größeres politisches Interesse verdienen. Auch der Sonderfall Belarus sollte zumindest bei der Unterstützung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen stärkere Förderung erhalten.

In all diesen Fällen kann in Polen auf Interesse und Erfahrung zurückgegriffen werden. Konsultation und Koordination zwischen Berlin und Warschau in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft kann für die EU wichtige Fortschritte erzielen und – fast nebenbei – den deutsch-polnischen Beziehungen neue positive Impulse verleihen.



Das Projekt „Kopernikus-Gruppe“ wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.