Kopernikus-Gruppe

Mitteilung über die
Sitzung der „Kopernikus-Gruppe“ am 23./24.05.2008

Am 23. und 24. Mai 2008 traf sich auf Einladung des Deutschen Polen-Instituts und des Osteuropa-Studiums der Universität Warschau die aus deutschen und polnischen Experten bestehende „Kopernikus-Gruppe“ in Brüssel zu ihrer siebzehnten Sitzung. Thema der Beratungen waren die Möglichkeiten der deutsch-polnischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Der Schwerpunkt lag auf der regionalen Kooperation im deutsch-polnischen Grenzgebiet, die im Rahmen der Strukturpolitik der EU auf Fördermittel aus dem Programm Europäische territoriale Zusammenarbeit zurückgreifen kann.
Zum Auftakt der Sitzung gaben Leiter deutscher und polnischer Regionalvertretungen in Brüssel und Beamte der Europäischen Kommission (Generaldirektion Regionalpolitik) wichtige Informationen: Reinhard Boest, Leiter der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern bei der EU, Pascal Boymans, desk officer im Referat Polen in der GD Regionalpolitik der EU-Kommission, Friedrich von Heusinger, Leiter der Vertretung des Landes Hessen bei der EU,  Wolf-Eberhard Kuhl, Leiter des Sachsen-Verbindungsbüros Brüssel, Bartek Ostrowski, Leiter des Büros der Woiwodschaft Niederschlesien, Marcus Wenig, Leiter der Vertretung Brandenburgs bei der EU.
Das vorliegende Arbeitspapier XV fasst die gemeinsamen Überlegungen der Mitglieder der Kopernikus-Gruppe zusammen

Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt                               Oktober 2008
Dr. Kazimierz Wóycicki, Stettin


Arbeitspapier XV
Deutsch-polnische grenznahe Zusammenarbeit auf europäischer Ebene

  1. Nur ein Bruchteil der Gesamtsumme, die für die Strukturpolitik der EU in den Jahren 2007-2013 vorgesehen ist, kommt grenzüberschreitenden Projekten zugute. In Polen sind das nur 1,1% von insgesamt 67 Milliarden Euro. Das bedeutet letztendlich, dass bei der Planung wichtiger Infrastrukturmaßnahmen im polnisch-deutschen Grenzgebiet vor allem auf die Mittel zurückgegriffen werden muss, die im Rahmen der sog. operationellen, regionalen Programme für die jeweiligen Woiwodschaften bzw. Bundesländer zur Verfügung stehen. Die politischen Entscheidungsträger in den  mit der Ausnahme von Stettin weit von der Grenze gelegenen Landes- bzw. Woiwodschaftshauptstädten sind jedoch nicht ausreichend für die spezifischen Probleme und Bedürfnisse der Grenzregion entlang der Oder und der Neiße sensibilisiert. Der Mangel sei es an durchgehenden Autobahnverbindungen sei es an zeitgemäßen EC-Bahnverbindungen zwischen Berlin und Stettin, Berlin und Breslau  sowie Breslau und Dresden stehen der weiteren Entwicklung des Tourismus sowie der zunehmenden Förderung der wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Kontakte im Grenzgebiet im Wege.

  2. Die Abrufung der EU-Mittel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird eine stärkere Kooperation zwischen polnischen und deutschen Verwaltungen erfordern als sie in den vergangenen Jahren feststellbar war. Die EU-Kommission macht nämlich zur Auflage, dass der grenzübergreifende Charakter der jeweiligen Projekte im Vordergrund stehen muss. Da es sehr schwierig ist, solche Projekte – besonders in Bezug auf Infrastrukturprojekte – gemeinsam zu erarbeiten, besteht die Gefahr, dass sich beide Seiten vorwiegend auf sogenannte Soft-Projekte konzentrieren, um die Fördermittel für das Grenzgebiet überhaupt abzurufen.

  3. Das neue Instrument der europäischen Regionalpolitik – der Europäische Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) – sollte vor allem Kommunen ansprechen und den oft sehr schwierigen und mühsamen Weg zu grenzüberschreitenden Projekten erleichtern. Sowohl in Polen als auch in Deutschland fehlen bislang jedoch die entsprechenden Durchführungsbestimmungen. In Polen erklärt man sich das Zögern der Warschauer Regierung mit dem weiterhin starken Zentralismus und der Befürchtung, lokalen und regionalen Trägern mehr Kompetenzen in der internationalen Zusammenarbeit einzuräumen. In Deutschland wird das Fehlen entsprechender Bestimmungen dadurch erklärt, dass die Bundesregierung das Modell des Karlsruher Abkommens (Übereinkommen zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg und der Schweiz über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen von 1996)  dem neuen Modell der Verbünde für territoriale Zusammenarbeit vorzieht.

  4. Die Europäische Kommission wird in den nächsten Jahren insbesondere in Polen das Management von EU-Fördermittel sehr genau beobachten. Mit 67 Milliarden Euro ist Polen der größte Empfänger der EU-Regionalfördermittel in der EU-27. Die Zukunft der europäischen Strukturförderpolitik in der nächsten Finanzperiode nach 2013 wird damit weitgehend von Polens Fähigkeit zum Abruf der EU-Mittel abhängig sein. Sollte ein erheblicher Teil der Gelder auf Grund mangelnder Verwaltungskapazitäten wieder zurückgegeben werden müssen, wäre dies ein willkommenes Argument für diejenigen, die in Zukunft eine erhebliche Kürzung der EU-Strukturmittel fordern.

  5. Inzwischen sind fast alle polnischen Woiwodschaften mit Regionalbüros in Brüssel vertreten. Die Zielsetzungen und das Profil dieser Büros sind sehr unterschiedlich. Während manche es als ihre Hauptaufgabe ansehen, über die Brüsseler Antennen ausländische Investoren in die Region anzuziehen, konzentrieren sich andere auf die Erkundung von Fördermöglichkeiten sowie den Aufbau von Kontakten zu anderen europäischen Regionen. Auch hier dominiert eher der Blick auf die Regionen als Ganzes, während das Grenzgebiet als ein eher peripherer Bereich gilt.

  6. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit auf regionaler Ebene wird dadurch erschwert, dass die Kompetenzen der Regionalverwaltungen in Polen grundsätzlich geringer sind als die der Bundesländer. In vielen Bereichen ist nur die Zentralregierung in Warschau weisungsberechtigt. In Bezug auf das Management der EU-Fördermittel im Grenzgebiet schafft dies erhebliche Probleme. So ist die Verwaltungsbehörde für das grenzüberschreitende Programm zwischen Brandenburg und der Woiwodschaft Lebus auf polnischer Seite etwa 500 km von der Grenze entfernt, in Warschau angesiedelt, da das Regionalministerium auch für die Programme der territorialen Zusammenarbeit federführend ist. Aber auch andere Kontakte, wie zwischen Hessen und Großpolen, die mit erheblichem Engagement von unten aufgebaut worden sind, sind von der Zentralregierung in Warschau immer wieder in ihrem Ehrgeiz gebremst worden.

  7. Die Betrachtung des deutschen und polnischen Grenzgebietes als einer strukturschwachen Region, die in der Gesamtentwicklung der jeweiligen Woiwodschaften/Länder ohnehin keine herausragende Rolle spielt und dazu  „verurteilt“ ist, Peripherie zu bleiben, ist unbegründet  Erstens: Mit der Öffnung des Arbeitsmarktes und der Aufhebung der Übergangsfristen für Landerwerb kann es zu einem Investitionsschub auf beiden Seiten der Grenze kommen. Zweitens: Eine bessere Infrastruktur könnte die wirtschaftliche Kooperation beleben. Die Auswirkung Berlins auf die ökonomische Dynamik im Grenzgebiet ist bereits heute zu spüren, auch Stettin hätte das Potenzial, eine stärkere Rolle als wirtschaftliches und wissenschaftliches Zentrum an der Ostsee zu übernehmen. Neue Entwicklungen wie die Schengen-Erweiterung und das zunehmende Interesse polnischer Bürger, ihren Wohnort auf die deutsche Seite der Grenze zu verlegen sowie die steigende Nachfrage deutscher Bürger nach Beschäftigungsmöglichkeiten in Polen bestätigen, dass gerade in dem deutsch-polnischen Grenzgebiet ein nicht ausgeschöpftes  Potenzial steckt.


Empfehlungen:

  1. Ein deutsch-polnischer Erfahrungsaustausch auf Verwaltungsebene, vor allem hinsichtlich der Vorbereitung komplexer Umweltinfrastrukturprojekte ist wünschenswert. Entsprechende Kontakte, die in den Jahren vor Polens EU-Beitritt im Rahmen der EU-Twinning-Programme sehr intensiv waren, haben seit Polens Mitgliedschaft in der EU an Dynamik verloren.

  2. Es wird vorgeschlagen, dass die Vertreter der angrenzenden polnischen Woiwodschaften und deutschen Bundesländer die Präsenz in Brüssel dazu nutzen, sich im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit besser abzusprechen und zu unterstützen.

  3. Dass fast zwanzig Jahre nach der Öffnung der Grenzen die Verkehrsverbindungen zwischen den grenznahen Großstädten schlechter sind als vor siebzig Jahren, ist ein Skandal. Der Mangel an durchgehenden Autobahnverbindungen bzw. zeitgemäßen EC-Bahnverbindungen zwischen Berlin und Stettin, Berlin und Breslau sowie Breslau und Dresden stehen der weiteren Entwicklung des Tourismus sowie der zunehmenden Förderung der wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Kontakte im Grenzgebiet im Wege und ist schnellstens zu beheben.

  4. Ohne politischen Willen und Druck „von oben“ – seitens der Regierungen in Warschau und Berlin – wird das deutsch-polnische Grenzgebiet tatsächlich bestehende Entwicklungsmöglichkeiten nicht nutzen können. Starker Druck von außen ist auch deshalb notwendig, da wegen des starken Rückgangs der Bevölkerung beiderseits der Grenze, der Schwäche der Zivilgesellschaft in Ostdeutschland und in Polen, aber auch wegen der steigenden Popularität der rechtsradikalen NPD im deutschen Grenzgebiet die regionalen Entscheidungsträger überfordert sind und von außen unterstützt und beraten werden müssen.


Prof. Dr. Klaus Bachmann, Warschau
Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt
Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej, Warschau
Piotr Buras, Berlin, Warschau
Roland Freudenstein, Brüssel
Dr.Andrea Gawrich, Kiel
Dr. Marzenna Guz-Vetter, Berlin
Prof. Dr. Hans Henning Hahn, Oldenburg
Basil Kerski, Berlin
Adam Krzemiński, Warschau
Dr. Kai-Olaf Lang, Berlin
Dr. Doris Lemmermeier, Potsdam
Dr. habil. Krzysztof Ruchniewicz, Breslau
Prof. Dr. Robert Traba, Berlin
Jürgen Vietig, Kleinmachnow
Hubert Wohlan, Bonn
Dr. Tobias Weger, Oldenburg
Dr. Kazimierz Wóycicki, Warschau
Prof. Dr. Klaus Ziemer, Warschau/Trier
Prof. Dr. Marek Zybura, Breslau


Das Projekt „Kopernikus-Gruppe“ wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.