Kopernikus-Gruppe

Mitteilung über die
Sitzung der „Kopernikus-Gruppe“ am 16./17. April 2010

Am 16. und 17. April 2010 traf sich auf Einladung des Deutschen Polen-Instituts und des Osteuropa-Studiums der Universität Warschau die aus deutschen und polnischen Experten bestehende Kopernikus-Gruppe zu ihrer einundzwanzigsten Sitzung in Berlin. Thema der Beratungen waren „Die Polnischsprachigen in Deutschland. Zu einer Pragmatik der Förderung“. Als Gäste der Kopernikus-Gruppe gaben S.E. Dr. Marek Prawda, Botschafter der Republik Polen in Berlin, und Dr. Christoph Bergner, MdB, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Eingangsstatements zu dem Thema der Sitzung ab und stellten sich einer Diskussion zur Verfügung.

Das vorliegende Arbeitspapier fasst die gemeinsamen Überlegungen der Mitglieder der Kopernikus-Gruppe zusammen.

Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt                         September 2010
Dr. Kazimierz Wóycicki, Warschau



Arbeitspapier XVIII
Deutsche Bürger mit polnischen Wurzeln:
Vorschläge zur Förderung der polnischen Sprache in Deutschland


Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 legt in Art. 20 für „Personen deutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, die polnischer Abstammung sind oder die sich zur polnischen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen“ das Recht fest, „einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln“. Derzeit werden aufgrund dieser Vereinbarung aus dem Bundeshaushalt Aktivitäten polnischer Gruppen mit insgesamt ca. 300.000 € aus dem Bundeshaushalt gefördert.

Mit Bezug auf den Nachbarschaftsvertrag von 1991 ist in den vergangenen Jahren von Vertretern polnischer Verbände in Deutschland wiederholt der Vorschlag unterbreitet worden, den in Deutschland lebenden Polen den Status einer „nationalen Minderheit“ einzuräumen, den gegenwärtig Friesen, Sorben, Dänen sowie Sinti und Roma genießen. Sie berufen sich dabei auf die angebliche Kontinuität des Art. 113 der Weimarer Reichsverfassung von 1919, der seinerzeit „fremdsprachigen Volksteilen des Reichs“, unter denen die Polen damals die größte Gruppe bildeten, Sonderrechte gewährte und die durch die Politik des NS-Regimes während des Zweiten Weltkriegs rigoros außer Kraft gesetzt wurden.

Die Kopernikus-Gruppe legt Wert auf die Feststellung, dass heute die Gruppe der Personen polnischer Sprache in Deutschland nicht mit jener der 1920er/1930er Jahre vergleichbar, sondern sehr heterogen ist. Aufgrund der Grenzziehung nach 1945 gibt es nicht mehr die autochthonen polnischen Minderheiten in Schlesien, Ostpreußen oder Hinterpommern, auf die sich der o.g. Artikel im Wesentlichen bezog. Die Gruppe besteht heute auch nur zu einem geringen Teil aus Vertretern der „alten“ Migration (etwa im Ruhrgebiet), während Spätaussiedler den größten Anteil ausmachen. Weitere Anteile entfallen auf polnischsprachige Personen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als ehemalige „Displaced Persons“ (DPs) in Deutschland blieben und auf ehemalige politische Emigranten, die nach 1945, vor allem in den 1980er Jahren, in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Eine weitere, zahlenmäßig wichtige Gruppe sind polnische Erwerbsmigranten, die in unterschiedlichen Phasen seit 1990 in Deutschland leben und arbeiten. Von einer polnischen Minderheit im formalrechtlichen Sinne kann angesichts dieser Situation in Deutschland heute nicht die Rede sein. Entsprechende Forderungen einzelner Verbandsvertreter erweisen sich aus Sicht der Kopernikus-Gruppe als kontraproduktiv für das deutsch-polnische Verhältnis.

Sehr ernst zu nehmen sind die vielfachen Hinweise auf die unzureichende Umsetzung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags vor allem im Hinblick auf das Angebot des Polnischunterrichts an staatlichen Schulen in Deutschland. Die föderale Struktur Deutschlands hat zur Folge, dass sich der Stellenwert und damit die Situation für den Polnischunterricht von Land zu Land grundlegend unterscheidet. Aus verständlichen Gründen hat das Thema in den grenznahen Ländern (Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und bis zu einem gewissen Grad auch Berlin) und in den Ländern, in denen die polnischsprachige Gruppe besonders groß ist (Nordrhein-Westfalen, Bremen, auch in Rheinland-Pfalz und neuerdings in Hessen), eine größere Bedeutung.

In Sachsen unternehmen die Schulbehörden erfreuliche Schritte, um den Verpflichtungen aus dem deutsch-polnischen Vertrag von 1991, insbesondere den Festlegungen der Artikel 20 und 25 des Partnerschaftsvertrages, nachzukommen. Dies betrifft vor allem die Situation im Grenzgebiet, wo die Mehrheit der Initiativen für Polnischunterricht ergriffen wird. Bemerkenswert ist hier auch die aktive Haltung der Stadt Görlitz.

In anderen Ländern sind die Aktivitäten zugunsten des Polnischunterrichts fragmentarisch. Dahinter steht kein böser Wille, vielmehr tragen fehlendes Verständnis, ja sogar das fehlende Wissen über die vertragsmäßigen Verpflichtungen und über die objektiven Schwierigkeiten dazu bei, dass sich die Situation nicht spürbar verbessert.


Empfehlungen

Zur weiteren Verbesserung der Lage der deutschen Staatsbürger mit polnischen Wurzeln empfiehlt die Kopernikus-Gruppe Folgendes:

I.
Bezüglich der Forderung nach Restitution der durch die deutsche NS-Regierung enteigneten polnischen Organisationen schlägt die Kopernikus-Gruppe die Schaffung einer Stiftung vor, die die Förderung komplementärer Aufgaben zur Verbesserung der Situation der polnischen Sprache in Deutschland übernehmen könnte.

II.
Die Kopernikus-Gruppe appelliert an die Kultusministerkonferenz, Polnisch in möglichst vielen deutschen Bundesländern als Unterrichtssprache anzubieten. Dafür ist neben Anpassungen von Lehrplänen die Schaffung eines auf das Staatsexamen abzielenden Polnisch-Studiums an deutschen Hochschulen erforderlich, um qualifizierte Lehrkräfte für deutsche Schulen ausbilden zu können. Ergänzend müssten entsprechende neue Polnisch-Lehrwerke stärker verbreitet werden.

III.
Die Einführung von Polnisch als zweite oder dritte Fremdsprache im Schulsystem von bestimmten ausgewählten Ländern ist wünschenswert. Es geht darum, dass der Polnischunterricht zu einem ständigen Angebot möglichst vieler deutscher Schulen wird. Dieses Angebot könnten interessierte Kinder und Jugendliche aus der fast zwei Millionen umfassenden Gruppe der Polnischsprachigen in Deutschland nutzen. Da sie Englisch als erste Fremdsprache lernen und verpflichtet sind, eine zweite Fremdsprache zu lernen, erleichtert das Erlernen der polnischen Sprache in diesem Rahmen den Zugang zur Kultur und Tradition ihres zweiten Heimatlandes. Als Nebeneffekt würde wegen der Notwendigkeit verstärkter Polnischlehrerausbildung eine Belebung der deutschen Polonistik eintreten.

IV.
Anfangen könnte man mit einem Modell des Polnischunterrichts in ein oder zwei Ländern, das beispielhaft für andere Länder wäre. Am besten entwickelt ist derzeit das „sächsische Modell”, an dem sich andere Kultusministerien orientieren könnten. Im Rahmen dieses Modells wird in Sachsen an einigen Standorten (beispielsweise in Görlitz) Polnisch von der ersten Grundschulklasse bis zum Abitur in verschiedener Form (als zweite Fremdsprache, als muttersprachiger Unterricht oder als Polnisch AG) angeboten. Dazu kommen Fortbildungsmaßnahmen für Lehrer zum Thema Sprache, Landeskunde, Geschichte, Schüleraustausch usw., die durch den Schulträger geführt werden. Das Modell wird in Sachsen unter starker Einbeziehung von EU-Mitteln entwickelt und durchgeführt.

V.
Unter Berücksichtigung des deutschen Kulturföderalismus sollte Gesprächspartner der polnischen Seite zu diesem Thema nicht allein die Kultusministerkonferenz sein, sondern die Kultusministerien und Schulbehörden einzelner Länder. In Gesprächen mit letzteren sollte auch die regionale Ebene in Polen (Marschallämter in Zusammenarbeit mit den regionalen Vertretern des polnischen Kulturministeriums) stärker eingebunden werden. Dies betrifft vor allem die grenznahen Woiwodschaften und ihre deutschen Nachbarländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen. Die Förderung der sprachlichen Kompetenz sollte sehr viel stärker als dies bislang der Fall ist, aus den EU Interreg IVA-Mitteln gefördert werden.

VI.
Ganz wesentlich ist die richtige Vorbereitung der polnischen Verhandlungspartner in dieser Materie, insbesondere die gute Kenntnis der Kompliziertheit des deutschen Schulsystems. Das betrifft sowohl die Vertreter des Außenministeriums, des Erziehungs- und Schulministeriums wie auch der betroffenen Marschallämter (insb. von Niederschlesien, Lebuser Land und Westpommern). Verantwortungsvolles Handeln der polnischen Seite und systematisches und kompetentes Monitoring der Aktivitäten in einzelnen Ländern könnte zu einer befriedigenderen Umsetzung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags für den Bereich des Polnischunterrichts in Deutschland führen.

------------------

Die Kopernikus-Gruppe verbindet mit ihren Empfehlungen die Hoffnung, dass im Zuge einer entschiedenen Aufwertung des Polnischunterrichts an den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland auch das Gewicht der polnischen Sprache und Kultur sowie des Nachbarlandes Polen insgesamt in der deutschen Öffentlichkeit gestärkt wird. Dadurch könnte auch eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz und Achtung der Mehrsprachigkeit als eines „added value" gefestigt werden. Die Europäische Kommission bemüht sich seit vielen Jahren, die Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt der EU-27 zu fördern.



Das Projekt „Kopernikus-Gruppe“ wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.