Kopernikus-Gruppe

Mitteilung der Kopernikus-Gruppe

Der deutsch-polnische Gesprächskreis Kopernikus-Gruppe traf sich zu seiner zweiunddreißigsten Sitzung in Warschau. Das vorliegende Arbeitspapier fasst die gemeinsamen Überlegungen der Teilnehmer zum Thema der Sitzung „Perspektiven der deutsch-polnischen Beziehungen unter der PiS-Regierung“ zusammen.

Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt
Dr. Kazimierz Wóycicki, Warschau                                                                      11. Dezember 2015

 

Arbeitspapier 26
Zur Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen in der Europäischen Union 

Fünfzig Jahre nach dem Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe am Rande des Zweiten Vatikanischen Konzils, 25 Jahre nach der endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch das wiedervereinigte Deutschland und der Unterzeichnung des bilateralen Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit sowie über zehn Jahre nach Polens Beitritt zur Europäischen Union stehen die Fortschritte sowohl der europäischen Integration als auch der deutsch-polnischen Partnerschaft in Frage.

 1. Zur Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen für die Zukunft der EU

Die EU ist in einer vielfältigen Krise. Zu den Konfliktpunkten gehören
- die Flüchtlingspolitik,
- die Östliche Partnerschaft mit dem Krieg in der Ukraine und dem schwierigen Verhältnis zu Russland,
- die Euro-Krise mit der nach wie vor ungeklärten Frage des Verbleibs Griechenlands in der Währungsunion,
- sowie das mögliche Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, das die Desintegration des Vereinigten Königreichs und weiteren Sezessionismus in West- und Südeuropa auslösen kann.

Europas Grundwerte und die Finalität der europäischen Integration sind in Frage gestellt. In dieser Phase kommt den deutsch-polnischen Beziehungen eine besondere strategische Bedeutung zu – gerade auch dann, wenn die Regierungen beider Länder unterschiedliche Politiken verfolgen, zum Beispiel im Umgang mit der Flüchtlingsfrage, der Energie- und Klimapolitik sowie der Sicherheitspolitik (dauerhafte Nato-Militärpräsenz in Ostmitteleuropa).

 2. Zu den bilateralen Beziehungen

Deutsche und Polen haben in den vergangenen 25 Jahren ein tragfähiges Geflecht staatlicher, regionaler und kommunaler sowie zivilgesellschaftlicher Organisationsformen aufgebaut, die für die nächsten Generationen immer wieder neu begründet werden müssen. Die vielfältigen europäischen Krisen und die innenpolitischen Entwicklungen nach dem Regierungswechsel in Polen verunsichern viele Menschen in beiden Ländern. Es ist das gute Recht einer demokratisch gewählten Regierung, den Kurs der Innen- und Außenpolitik ihres Landes neu zu bestimmen. Die Gewaltenteilung als universal anerkanntes Grundprinzip einer demokratischen Verfassung darf jedoch nicht angetastet werden. Der Versuch einer Regierung, strukturellen und dauerhaften Einfluss auf Institutionen zu gewinnen, die unabhängig von der Exekutive funktionieren müssen, sowie die Übernahme von Kontrolle über sie gefährdet die Gewaltenteilung. Unabhängige Gerichte und unabhängige Medien bilden das Fundament der demokratischen Rechtsordnung.

 Wir vertrauen auf die demokratischen Institutionen und die Zivilgesellschaft in Polen. Es ist zunächst deren Aufgabe, fragwürdige Entwicklungen zu benennen und nach Lösungen zu suchen.

Deshalb rufen wir die polnischen Medien auf, einen Beitrag zu einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu leisten und keine Feindbilder aufzubauen – nach innen wie nach außen. Uns beunruhigen aber auch pauschalisierende und die Entwicklung vorwegnehmende Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit und in Medien. Zum Beispiel Äußerungen der Art,  aufrechte Demokraten dürften nun nicht mehr nach Polen fahren oder man müsse Polen durch den Entzug von EU-Mitteln auf den rechten Pfad „zwingen“. Wir betrachten die kursierenden Vorschläge, Partnerschaften aufzukündigen – ob von Schulen, Städten oder NGOs – als Verweigerung von Vertrauen und Kooperation in einer Phase, in der sie besonders gefordert sind und die junge Generation inspiriert werden sollte, Kontakte mit dem Nachbarland zu knüpfen. Das in den letzten beiden Jahrzehnten aufgebaute gegenseitige Vertrauen lässt sich viel zu rasch untergraben, wenn wir vorschnell Entscheidungen treffen und emotional reagieren. Verlorenes Vertrauen gegenseitig wieder zu gewinnen, kostet viel Zeit und Energie.   

Es ist zu begrüßen, dass die deutsche Bundesregierung sich in dieser Übergangszeit mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhält. Äußern sollte sie sich dann, wenn ein enger und bewährter Partner tatsächlich europäisches Recht brechen sollte.

Die politischen und gesellschaftlichen Kräfte sollten das bevorstehende Jubiläum des bilateralen Vertragswerks nutzen, um den strategischen Nutzen einer deutsch-polnischen Kooperation für die Stabilität und die Lösung von Problemen in der EU zu beweisen – nicht nur im Rückblick auf die letzten 25 Jahre, sondern vor allem auch für die gemeinsame europäische Zukunft.

Polen braucht Deutschland, um eine entscheidende Rolle in Europa und in den transatlantischen Beziehungen spielen zu können. Deutschland braucht Polen, wenn es die Grundlage seiner gestaltenden Kraft zugunsten der europäischen Einheit erhalten soll: Das heißt von Freunden umgeben zu sein. Wie riskant es für Deutschland ist, in der EU fast allein zu stehen, zeigt die aktuelle Flüchtlingskrise. Hier ist Deutschland auch auf Polen angewiesen. Richtig verstandene Solidarität wird aus Eigennutz im besten Sinne gewährt, sie hilft beiden: Deutschland und Polen.