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1. Abteilung: Poesie

Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts

Rezensionen

Verlagsstrategien übertreiben gern. Doch bei dem vorzustellenden Projekt kann man ihnen guten Gewissens zustimmen. Das Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts, hier je zwei 800-Seiten-Bände Lyrik, das ist ein Ereignis. [...] Die Auswahl erlaubt kulturgeschichtliche Anhörung und Besichtigung. Die gesellschaftlichen Zwänge und Ereignisse finden Eingang. Fremdes wird so vertraut. Fernes erscheint so nah. Die Liebe zur Natur und zur Heimat, die Religion, das sind identitätsstiftende Konstanten polnischer Lyrik [...] Hier wachsen Ost und West zusammen. Der Leser entdeckt einen faszinierenden Kosmos der Nachbarliteratur, die eine ganz große in der Welt ist.
(PASSAUER NEUE PRESSE vom 27.3.1997)

Einfühlung und Versatilität beweist Dedecius vor allem im ersten Band. [...] Da gelingen ihm dichterische Äquivalente, die nicht wie übersetzt klingen, sondern als deutsche Gedichte zu lesen sind. Entsprechungen zu Jugendstil und Expressionismus, Klänge wie von Dehmel, Lasker-Schüler oder dem jungen Trakl. Übersetzung wird Anverwandlung fremder Tradition. Dedecius dichtet für uns gleichsam eine polnisch-deutsche Poesie der Mazurkas, Notturnos, Polonaisen. [...] Überhaupt wird, wer kein Polonist ist, die informative Fülle begrüßen, und wer Polnisch kann, wird für die Hinweise auf Quellen und Originalausgaben dankbar sein. Hilfreich sind die Sacherläuterungen, informativ die konzisen Kurzbiographien. Sie sprechen von dem Preis, den viele der Dichter für ihre Poesie zahlen mußten.
(Harald Hartung, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vom 18.1.1997)

Ein Jahrhundertfazit polnischer Lyrik in deutscher Übertragung vorzustellen ist ein außerordentliches Ereignis, geeignet, die stabile Mauer deutscher Ignoranz gegenüber den Kulturen Ostmitteleuropas zu durchlöchern. Ein Werk, das Maßstäbe setzen wird. [...] Die beiden Poesie-Bände sind eine Fundgrube menschlicher Einsichten und brillanter poetischer Erleuchtungen. Weil aus der Perspektive einer anderen Kultur formuliert, reißen sie den Leser aus der Spur seiner Gewohnheit.
(Heinrich Olschowsky, FREITAG vom 13.9.1996)

Jahrzehnte hingebungsvoller Arbeit bilden den Grundstock zu diesem grandiosen Werk der Errungenschaften von Dedecius. Dedecius war ursprünglich kein professioneller Polonist, sondern vielmehr ein Mensch mit großer Sprachbegabung, in jeder Hinsicht bilingual in seiner Kenntnis des Polnischen und des Deutschen, und auch ein Mensch mit einem beinahe missionarischen Eifer für den Beitrag zum besseren Verständnis und gegenseitiger Respektierung der beiden Nationen, indem er die polnische literarische Kunst, insbesondere die Poesie, den Deutschen zugänglich machte. Unzureichendes Wissen übereinander erzeugt gespannte Verhältnisse zwischen Menschen, wie Thomas Mann einst sagte (siehe "Der Tod in Venedig") und wie Karl Dedecius allzugut weiß. Ein häufiges Nebenerzeugnis von Ignoranz ist der Hochmut, den die Deutschen den Polen gegenüber oft an den Tag gelegt haben. Dedecius machte es zu seiner Mission, Ignoranz und Hochmut zu bekämpfen, und seine dezidierten Anstrengungen fanden Unterstützung sowohl von öffentlicher als auch von privater Hand, von der deutschen Regierung (dem Außenministerium) und von privaten Stiftungen (Volkswagen, Klöckner und die Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit). Alle gewähren Zuschüsse zur Finanzierung dieses Unternehmens. Poesie spiegelt menschliche Erfahrungen in einer besonderen, konzentrierten Sprache wider, in Abhängigkeit von ihren eigenen Gesetzen. Die Vielfalt des poetischen Ausdrucks ist beinahe unerschöpflich. Die Welt in ihrer Seltsamkeit von neuem zu sehen, kann für den Leser im intellektuellen Sinne anregend sein und eine Quelle des Trostes werden. Harald Hartung, der diese beiden Bände in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG rezensierte (18. Januar 1997), bedient sich des Begriffs "Tröstliche Kunst". Diese Ansicht ist natürlich nicht neu, aber es schadet nicht, an sie erinnert zu werden: poetische Kunst als transformierte Realität, "fremd" und "schön" gemacht.
(Joachim T. Baer, WORLD LITERATURE TODAY, Summer 1997)