
Band Nr. 32
Schwert, Kreuz und Adler
Die Ästhetik des nationalistischen Diskurses in Polen (1926−1939)
Inhalt
In der Aufarbeitung der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist bisher vor allem der Opferstatus Polens betont worden. Diese Sicht ist zwar über weite Strecken zutreffend, bleibt aber blind für die Tatsache, dass Polen nach dem Maiputsch von 1926 über ein autoritäres Regime verfügte, das sich auf einen nationalistischen Konsens stützen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich Polen in kurzer Zeit von einem von fremden Mächten okkupierten Territorium zu einem autonomen Staat mit imperialen Ansprüchen gewandelt. Allerdings herrschte ein Gefühl der Benachteiligung vor. Eine offene Wunde war der schmale Ostseezugang bei Gdynia, außerdem blieben auch die litauische und die ukrainische Frage ungeklärt. Nationalistische Eroberungskriege wie die Okkupation Wilnas oder Piłsudskis abenteuerlicher Feldzug nach Kiew stießen in der polnischen Öffentlichkeit auf breite Zustimmung. Das vorliegende Buch untersucht die Rolle verschiedener Institutionen (Staat, Kirche, Zeitschriften) bei der Herausbildung des nationalistischen Gesellschaftsprojekts im Polen der Zwischenkriegszeit. Anschließend werden die Ausprägungen dieses Diskurses in Literatur, Malerei, bildender Kunst und Architektur nachgezeichnet. Dabei zeigt sich, dass die polnische Nation als organischer Körper konstruiert wurde, der über eine heroische Biographie und einen idyllisch verklärten Lebensraum verfügt.
Ulrich Schmid ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen.
Inhaltsverzeichnis
ULRICH SCHMID
Vorwort
I. Methode und Begriffsklärung
ULRICH SCHMID
Die ästhetische Ausprägung einer nationalistischen Gouvernementalität
ULRICH SCHMID
Nation als Diskurskategorie: Narrative Organisation von Zeit, Raum, Körper und Gesellschaft
II. Der nationalistische Diskurs – Institutionen und ideologische Positionen
ULRICH SCHMID
Konzeptualisierungen der polnischen Nation in der Zweiten Republik
PASCAL TREES
Zwischen Empfänglichkeit und Resistenz. Die Rezeption von Faschismus und Nationalsozialismus in der Zweiten Polnischen Republik
MONIKA BEDNARCZUK
Die katholische Kirche zwischen Widerstand und Vereinnahmung
MONIKA BEDNARCZUK
Die »jüdische Frage«
SABINA SCHAFFNER
Geschlechtsentwürfe und Identitätsangebote
MONIKA BEDNARCZUK
Kulturelle Institutionen
III. Nationalismus und literarische Ästhetik
ISABELLE VONLANTHEN, ULRICH SCHMID
Zwischen historischer Mission und Zukunftserwartung: Mythische Zeitkonzeptionen
ISABELLE VONLANTHEN, ULRICH SCHMID
Die literarische Aneignung des polnischen Raums
SABINA SCHAFFNER, ISABELLE VONLANTHEN, ULRICH SCHMID
Der Körper der Nation: Soldat, Kommandant, Mutter, Geliebte
ISABELLE VONLANTHEN, ULRICH SCHMID, STEFAN GUTH
Nationale Gemeinschaftskonzepte: der Dichter als Volkserzieher
IV. Kunst als nationales Projekt
JOANNA M. SOSNOWSKA
Der traurige Ritter. Von der polnischen Gedächtnisskulptur
MAREK CZAPELSKI
Das Projekt der Kirche der Vorsehung und die Frage monumentaler Kirchenarchitektur in der Zweiten Republik
IWONA LUBA
Historienbilder und Männerbund – Die Bruderschaft des Heiligen Lukas
LECHOSŁAW LAMEŃSKI
Gegen Paris: Nationalkunst bei Stanisław Szukalski
V. Zusammenfassung
ULRICH SCHMID
Die ästhetische Dimension des nationalen Projekts
ULRICH SCHMID
Kommunikationssituation und Appellstruktur
ULRICH SCHMID
Der master plot des nationalen Projekts
ULRICH SCHMID
Konstitutiva einer nationalistischen Ästhetik in Kunst und Literatur
VI. Anhang
MONIKA BEDNARCZUK
Zeitungsverzeichnis
IWONA WIŚNIEWSKA, MACIEJ URBANOWSKI, ISABELLE VONLANTHEN
Biogramme
Namensregister
Ortsregister
Rezensionen
"Der vorliegende Sammelband schließt eine Lücke in der historischen Forschung zu Polen in der Zwischenkriegszeit, fehlt doch bisher eine umfassende kulturwissenschaftliche Darstellung der Zweiten Polnischen Republik, ganz zu schweigen von einer, die sich explizit und so ausführlich mit der Ästhetik des nationalistischen Diskurses in der Zeit der Sanacja befasst. Alle Beiträge können sowohl sachlich als auch methodisch überzeugen. Sie bieten Fachleuten neue Erkenntnisse zum nur zu oft faschistoide Züge aufweisenden polnischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit. Zugleich ist die Art der mit zum Teil tiefgehenden Hintergrundinformationen aufwartenden Beiträge mehr als geeignet, ein breites Nicht-Fachpublikum zu erreichen und diesem einen thematischen Einstieg zu erleichtern."
Paul Srodecki, in: Pol-int.org, 12.3.2015 (vollständige Rezension)
[Der] kulturwissenschaftliche Ansatz rückt die Interaktion von Kunst, Literatur und Politik in das Zentrum des Interesses und will damit einen Beitrag zur Erforschung des polnischen Gouvernementalität in der Zwischenkriegszeit leisten. Dabei lässt sich Schmid von Schriften internationaler geisteswissenschaftlicher Größen wie Benedict Anderson, Michel Foucault, Walter Benjamin, George Mosse und anderer mehr inspirieren. Er berührt dabei von ihm selbst als schwierig bezeichnete Themen der Forschung. Zu nennen sind hier Frage nach der geistigen Nähe des polnischen nationalistischen Diskurses zum Faschismus und das Offenlegen der imperialen Züge des polnischen Raumdiskurses. [...] Die Stärke seiner [Schmids] Ausführungen besteht [...] darin, dass er auf einem intellektuell hohen Niveau den kundigen Leser dazu anregt, einen anderen Blick auf den scheinbar bekannten Gegenstand der Zweiten Polnischen Republik zu werfen. Es bleibt zu hoffen, dass seine Ideen weitere Forschungen auslösen. Aus Sicht einer interdisziplinären Polenforschung kann nur der Wunsch ausgesprochen werden, dass sich
Ulrich Schmid in Zukunft weiter mit Polen beschäftigt und nicht seine ganze Energie der Erforschung der Kultur und Gesellschaft Russlands widmet.
Stefan Dyroff, in: Germano-Polonica 2015, S. 8-10 (vollständige Rezension)