11.03.2019 , 18:00 Uhr

Podiumsgespräch "Opfer der deutschen Besatzungspolitik in Polen 1939-1945. Was erinnern? Wie gedenken?"

Vertretung des Landes Brandenburg beim Bund, In den Ministergärten 3, 10117 Berlin

Veranstalter: Deutsches Polen-Institut

Film- und Fotodokumentation

 

Zur Videoaufnahme und zu den Bildern  geht es    hier.  

  

Zusammenfassung

Am 11. März 2019 fand in der Landesvertretung Brandenburg beim Bund in Berlin ein vom DPI veranstaltetes und von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördertes Podiumsgespräch "Opfer der deutschen Besatzungspolitik in Polen 1939-1945. Was erinnern? Wie gedenken?" statt. Zu der öffentlichen Veranstaltung  kamen über 150 Gäste.

StS Martin Gorholt betonte in seiner Eröffnungsrede die Bedeutung  von aktuellen deutsch-polnischen Debatten, die auch durch die umfangreichen Aktivitäten des Landes Brandenburg unterstützt werden.  DPI-Direktor Prof. Dr. Dieter Bingen merkte an, dass man die Diskussion gerade vor dem Hintergrund des nahenden achtzigsten Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkrieges am 1. September 2019 – zugleich des deutschen Überfalls auf Polen – intensivieren müsse, da in der deutschen Öffentlichkeit ein Wissen um die deutsche Vernichtungs- und Versklavungspolitik in Polen kaum vorhanden sei. Dagegen sei das Thema in Polen ein fester Bestandteil von  Erinnerung. Diese Asymmetrie beweist einen Empathiemangel und wirkt sich schädlich auf die deutsch-polnische Versöhnung sowie die aktuellen bilateralen Beziehungen aus.

Der Jenaer Zeithistoriker Dr. Raphael Utz schlug in seinem bemerkenswerten Impulsvortrag, der im Publikum große Betroffenheit auslöste,  einen Bogen von geschichtlichen Verfälschungen  in populären deutschen Fernsehserien der jüngsten Zeit über die historischen Spezifika des deutschen Vernichtungskriegs in Polen bis zur heutigen nachbarschaftlichen Zusammenarbeit in Europa. Als Grunderfahrungen der Bürgerinnen und Bürger der II. Polnischen Republik während der deutschen Besatzungsherrschaft machte er Entrechtung, Vertreibung, Enteignung und Massenmord aus. Dabei erinnerte er an  die am Ende des Krieges zu beklagenden ca. 6 Millionen Tote – darunter lediglich 300 Tsd. Soldaten. Allein während des Massakers von Wola in Warschau wurden zwischen dem 5. und 7. August 1944 wurden 30 Tsd. Zivilisten ermordet. Der für die Mordaktion verantwortliche  SS-Gruppenführer Heinz Reinefahrt ist in der Bundesrepublik Deutschland niemals zur Verantwortung gezogen worden, im Gegenteil brachte er es bis zum schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten und langjährigen Bürgermeister von Westerland (Sylt). Utz konstatierte ein großes Versagen bei der juristischen Aufarbeitung der deutschen Verbrechen nach 1945 und ungeachtet aller positiven Aspekte der Vergangenheitsaufarbeitung ein weit verbreitetes Desinteresse und einen ebenso einen Mangel an Zuwendung und Einfühlungsvermögen angesichts der schrecklichen Bilanz der deutschen Besatzungsherrschaft 1939-1945.   

Am Podiumsgespräch unter der kompetenten Moderation der Berliner Journalistin Joanna Stolarek stellte keiner der Diskussionsteilnehmer – die Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker Prof. Dr. Martin Aust (Bonn), Dr. Annemarie Franke (z.Zt. Warschau) und Dr. Katrin Steffen (Lüneburg/Hamburg) sowie Dr. Utz – die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema infrage. Im Mittelpunkt des anregenden Gesprächs standen Überlegungen über mögliche Instrumente im Bereich der öffentlichen Wissensvermittlung und der Weiterentwicklung der deutschen Erinnerungskultur. Dabei wurde auch auf die Bedeutung von aktuellen in der politischen Diskussion stehenden Projekten wie des Aufrufs zur Errichtung eines Denkmals für die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945 in der Mitte Berlins für die Beförderung der nötigen öffentlichen Debatte in Deutschland unterstrichen. Allein schon die Diskussion über ein Denkmal sei ein höchst wichtiger Beitrag zur historischen Aufklärung und zu Sensibilisierung für die Notwendigkeit, eine Leerstelle in der deutschen Erinnerungskultur zu füllen.

 

Programm 

 

Begrüßung 

Staatssekretär Martin Gorholt, Chef der Staatskanzlei des Landes Brandenburg 
Prof. Dr. Dieter Bingen, Deutsches Polen-Institut 

Impulsvortrag   

Dr. Raphael Utz, Imre Kertész Kolleg, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Podiumsgespräch mit

Prof. Dr. Martin Aust, Institut für Geschichtswissenschaft, Abteilung Osteuropäische Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Dr. Annemarie Franke,  Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität (ENRS), Warschau, BKGE Oldenburg

Dr. Katrin Steffen, Nordost-Institut Lüneburg an der Universität Hamburg (IKGN e.V.) 

Dr. Raphael Utz,  Imre Kertész Kolleg, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Moderation:   Joanna Stolarek, Neue deutsche Medienmacher

Hintergrund

Am 1. September 2019 jährt sich der deutsche Überfall auf Polen und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. In der deutschen Öffentlichkeit fehlt es  bis heute an historischem Wissen über die Rassen- und Vernichtungspolitik im besetzten Polen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren fast sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger der II. Polnischen Republik – Juden und Christen, ethnische Polen und nationale sowie ethnische Minderheiten – als Opfer zu beklagen.

Das Augenmerk der Öffentlichkeit liegt nach wie vor auf dem Zivilisationsbruch mit der Shoa, der Terror gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung ist viel weniger bekannt. Der einführende Vortrag von Raphael Utz und die anschließende Diskussion nehmen die lückenhafte Kenntnis von dem allumfassenden Terror im besetzten Polen zum Ausgangspunkt für die Diskussion über notwendige Vermittlung von Wissen – und von Empathie.   Das verbindet sich mit dem Thema Erinnerung und Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen deutschen Besatzungspolitik in Polen.

 

Die Veranstaltung wurde gefördert durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".

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