
29.11.2011 , 19:00 Uhr
Die polnische EU-Ratspräsidentschaft 2011. Zwischenbilanz eines Steuermanns in stürmischer See
IHK Rhein Main Neckar, Darmstadt, Rheinstraße 89
XV. Deutsch-Polnisches Podiumsgespräch mit dem Botschafter der Republik Polen in Deutschland, S.E. Dr. Marek Prawda, dem Hessischen Minister der Justiz, für Integration und Europa, Jörg-Uwe Hahn und dem FAZ-Wirtschaftsredakteur Sven Astheimer.
Moderation: Prof. Dr. Dieter Bingen, Deutsches Polen-Institut
Begrüßung: Dr. Uwe Vetterlein, IHK Rhein Main Neckar
Anmeldungen: Alexandra Helmus, Tel. 0611-323639, Fax: 0611-323790
per e-Mail: alexandra.helmus@hmdj.hessen.de
Polen, erst seit sieben Jahren Mitglied der Europäischen Union und seit
dem 1. Juli 2011 deren Ratspräsidentschaft, ist ein Erfolgsbeispiel in
Zeiten europäischer Krisen. Dank der EU-Mitgliedschaft boomt die
Wirtschaft, der „gefühlte Abstand“ zum Westen sinkt, der allgemeine
Zufriedenheitsindex und die Zustimmungsraten der Bevölkerung zur
Europäischen Union sind höher als in fast allen anderen
EU-Mitgliedsstaaten.Moderation: Prof. Dr. Dieter Bingen, Deutsches Polen-Institut
Begrüßung: Dr. Uwe Vetterlein, IHK Rhein Main Neckar
Anmeldungen: Alexandra Helmus, Tel. 0611-323639, Fax: 0611-323790
per e-Mail: alexandra.helmus@hmdj.hessen.de
Die Rahmenbedingungen für die polnische EU-Ratspräsidentschaft waren alles andere als vielversprechend: Kaum ist Polen in der Schengen-Zone, führt Dänemark wieder Grenzkontrollen ein, die europäische Schuldenkrise bedroht die Union in ihren Grundfesten und stellt europapolitische Selbstverständlichkeiten in Frage.
Die Antwort, die der polnische Ministerpräsidenten Donald Tusk vor dem Europäischen Parlament darauf gab, lautete: „Je mehr Europa, desto weniger Krise“: Mit einem sorgfältig vorbereiteten Programm und ehrgeizigen Zielen hat Polen die EU-Ratspräsidentschaft angetreten: Prioritäten sind die weitere Entwicklung des Binnenmarkts und die Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU, ein „sicheres Europa“ in den Bereichen Verteidigung, Energie, Lebensmittel und Rohstoffe - und ein "offenes Europa" – Fortsetzung der Erweiterungspolitik, „Östliche Nachbarschaft“ mit Russland und Solidarität mit dem demokratischen Umbruch in den arabischen Anrainerstaaten der EU. Was kann Polen für Europa erreichen, was hat es bisher erreicht? Welche Erwartungen haben die deutschen Partner an die polnische Ratspräsidentschaft? In dem Podiumsgespräch soll eine vorläufige Bilanz gezogen werden.
Eine gemeinsame Veranstaltung des Deutschen Polen-Instituts und der Abteilung Europa und Internationale Angelegenheiten im Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa.
Gefördert vom Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa
Polens EU-Ratspräsidentschaft: Zwischenbilanz eines Steuermanns in stürmischer See
Am 29. November 2011 fand in der IHK Darmstadt das XIV. Deutsch-Polnische Podiumsgespräch statt, das einer Zwischenbilanz der polnischen EU-Ratspräsidentschaft gewidmet war. Auf dem Podium saßen der polnische Botschafter Marek Prawda, Hessens Europaminister Jörg-Uwe Hahn und der FAZ-Wirtschaftsexperte Sven Astheimer. Das Gespräch moderierte Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen-Instituts, das neben dem Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa Mitveranstalter des Abends war.
In seinem Eingangsstatement betonte Marek Prawda die Bereitschaft Polens, sich als Vollmitglied der EU, aber kein Euro-Land, in besonderem Maße für die Lösung der Eurokrise einzusetzen. Die am 1. Juli 2011 begonnene polnische EU-Ratspräsidentschaft hatte eigene Akzente auf dem Programm (Wachstum, Sicherheit, Binnenmarkt, Östliche Partnerschaft u.a.) setzen wollen, faktisch stand aber das Krisenmanagement angesichts der dramatischen Staatsschulden- und Finanzkrise in der Eurozone im Zentrum der Aktivitäten, an denen Polen als Nicht-Mitglied der Eurozone nicht zentral beteiligt war. Ähnlich wie Minister Hahn beurteilt Prawda diese Krise als keine Währungs-, sondern als eine Vertrauenskrise. Polen beabsichtigt so schnell wie möglich der Euro-Zone beizutreten, die Erfüllung der Euro-Kriterien ist das erklärte Ziel der in den Parlamentswahlen (7.10.2011) bestätigten Regierungsparteien PO und PSL. Polen – und vor allem die erfolgreiche polnische Wirtschaft - glaubt an den Euro, so Prawda.
Der Botschafter unterstrich, dass die Zustimmung der polnischen Bevölkerung zu europäischer Integration sich seit Jahren auf einem stabil-hohen Niveau bewegt und dass antieuropäische Parolen nicht mehrheitsfähig sind: Das belegen die letzten Wahlen, bei denen europaskeptische Parteien in Polen eine Niederlage erlitten. Die Polen sind sich der vielen Vorteile bewusst, die ihnen der EU-Beitritt brachte, und sie sind bereit, auch in schwierigen Zeiten, Verantwortung zu übernehmen. Ganz im Sinne der gegenwärtig diskutierten Lösungsansätze der Eurokrise zeigt die polnische Regierung den Willen zu sparen und das Haushaltsdefizit zu reduzieren. Bereits seit 1997 hat Polen übrigens eine Schuldenbremse, die dem Land Schulden von mehr als 60% des BIP verbietet, in der Verfassung verankert. Von daher war die polnische EU-Ratspräsidentschaft auch entscheidend an den Regelungen des sog. „Six-Pack“ beteiligt, die u.a. automatische Sanktionen bei Nichterfüllung von fiskalischen Zielvorgaben vorsehen. Bei der Diskussion um eine Fiskalunion plädiert Prawda für eine offensivere Diskussion, die sich von der Figur der EU als „Notgemeinschaft“ löst, denn mit negativen Symbolen ist heute kein Staat zu machen. Die Legitimation muss sich wieder auf eine positive Narration berufen.
So braucht Europa heute eine neue Legitimationsbasis. Die „Friedensrhetorik“ hat sich nach Prawda abgenutzt, zumal Generationen am Steuer sitzen, die den Krieg längst nur aus Büchern kennen. Stattdessen sollte mehr der Begriff der Freiheit in den Vordergrund gestellt werden. Polen könne hier die Vorreiterrolle beanspruchen, denn die Erinnerung an die friedliche Revolution des Jahres 1989 ist dort in besonderer Weise lebendig. Dieser „Drang nach Freiheit“ des polnischen Volkes hat das heutige Europa mit begründet und soll weiterhin auch Grundlage jeglicher europäischer Politik werden.
Polen und Deutschland verbinden in der Europadiskussion nicht nur Wirtschaft, Energie oder Haushaltsfragen, sondern in einem hohen Maße auch die gemeinsamen Werte. Die DDR-Flüchtlinge des Jahres 1989, die über Warschau in den Westen gelangten, waren ein Teil „unseres Freiheitstraumes“, so Prawda. Heute gilt es, den Traum von der Freiheit auch bei den östlichen Nachbarn in Europa und bei den Nachbarn Europas im Süden zu unterstützen. So sollte die östliche Dimension des europäischen Dialogs angesichts der Eurokrise nicht ganz aus dem Blickfeld Europas geraten. Die Paraphierung des Assoziationsvertrages mit der Ukraine, die eigentlich unmittelbar bevorstand, aber angesichts der undemokratischen Entwicklungen in der Ukraine erst einmal verschoben wird, könnte laut Prawda trotzdem positive Impulse in das Land bringen. Prawda erinnerte daran, dass auch der von vielen kritisch beäugte KSZE-Prozess sich letztendlich für Polen und Europa gelohnt hatte, eine ähnliche Rolle könnten EU-Verträge jetzt auch für die Ukraine spielen.
In der anschließenden Diskussion sprach Europaminister Hahn von einer möglichen politischen Entwicklung der europäischen Integration in Richtung eines föderativ gestalteten Staatenverbundes. In diesem sollen allerdings nicht die Nationalstaaten, sondern die kleiner definierten Regionen eine entscheidende Rolle spielen. Sven Astheimer, der Wirtschaftsredakteur der FAZ, brachte die kürzlich in Berlin vom polnischen Außenminister Radek Sikorski vorgetragenen Gedanken zu Europa zur Sprache, die auf eine grundlegende Reform des Brüsseler EU-Apparates abzielen und ebenfalls eine Entwicklung in Richtung Föderation befürworten. Er lobte auch die Politik der ruhigen Hand des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, der weniger durch spektakuläre Schritte und mehr durch die Konsequenz im Handeln in den letzten Jahren aufgefallen ist, in denen das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat. Dabei gilt es auch, polnische Sonderpositionen zu kennen und die zwischen Deutschland und Polen divergierenden Meinungen (Steuern, Energiepolitik) zu diskutieren.
Statement Botschafter M. Prawda und Podiumsgespräch
(Auswahl) auf YouTube
Bildergalerie