05.08.2020 - Geschichte, Über Bücher

Ansichtskarten im Dienst der Polonisierung Niederschlesiens nach 1945

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Piotr Banaś ist eine Koryphäe auf dem Gebiet deutscher und polnischer Post- und Ansichtskarten. Schon vor 10 Jahren hat er einen interessanten Bildband herausgebracht, in dem er sich mit der Aneignung von Niederschlesien mit den Mitteln der Postkartenproduktion nach 1945 beschäftigt. Dieser viel zu wenig beachtete Band soll hier erneut in Erinnerung gerufen werden. Wobei „Aneignung“ (oswajanie) hier vielleicht nicht das richtige Wort ist, zunächst wäre wohl das Wort „Polonisierung“ richtiger.

BanasDie erste Ansichtskarte im Besitz des Autors, die aus den „Wiedergewonnenen Gebiete“, wie die ehemals deutschen Ostgebiete von Mitte 1945 an in Polen genannt wurden, stammte aus Bad Altheide im Glatzer Land. Es war eine deutsche - in leichter Sepia gehaltene - Landschaftskarte, auf deren Rand der Absender handschriftlich den neuen polnischen Namen Puszczykowo-Zdrój (heute Polanica-Zdrój) markierte. Diese Praxis war anfangs gang und gäbe, so Banaś. Polnische Fotografen unter den Ansiedlern, die in den Besitz deutscher Fotostudios und -ateliers kamen, verkauften zunächst Ware aus noch vorhandenen „deutschen Altbeständen“. In der Regel (aber nicht immer) strichen sie die deutschen Beschriftungen durch oder überstempelten sie mit dicken Streifen und/oder überschrieben diese mit polnischen Bezeichnungen. Für den Historiker ist von Bedeutung, dass die Karten oft die vorläufigen polnischen Namen der niederschlesischen Orte und Landschaften trugen, bis sie nach und nach (bis in die 1950er Jahre) verändert und vereinheitlicht wurden. So sehen wir neben „Karkonosze“ – dem polnischen Namen für das Riesengebirge - hin und wieder auch die wortwörtliche Übersetzung Góry Olbrzymie, so steht Wieniec Zdrój für Świerardów Zdrój (Bad Flinsberg) oder die anfangs erwähnte Bezeichnung Puszczykowo-Zdrój für Bad Altheide. (S. 17-20)

Deutsche Kinder mit polnischen Fahnen

Die „deutschen“ Karten zeigten oft menschenleere Motive, Stadtpanoramen und Berglandschaften, die sich weitgehend problemlos für polnische Kunden und Adressaten von damals eigneten. Aber an vielen Beispielen zeigt Banaś auch, wo noch „deutsches Leben“ auf den Straßen sichtbar wird, was Gebäude, Fahnen, Ladenschilder, Autos, aber auch Menschen verraten, u.a. Jungs in Lederhosen, die in Polen eindeutig nicht getragen wurden. (S. 72-81) Auch die ersten Glückwunsch- und Feiertagskarten wurden nach gleichem Verfahren umgedeutet und vertrieben. (S. 21-24) Manchmal nimmt die Aneignung – hier im richtigen Sinne des Wortes – groteske Züge an: Beispiel ist ein Leporello, das ursprünglich dem Rübezahl-Verlag in Krummhübel (Karpacz) entstammte, wo zunächst auf zwei Farbkarten putzige deutsche Kindergestalten mit eingefügten polnischen Fahnen vor einer Gebirgslandschaft Ferienstimmung verbreiten sollen. Bei dem dritten Motiv staunt man aber gewaltig – es könnte von einem Kraft-durch-Freude-Plakat stammen: Ein hochgewachsener blonder „Arier“, begleitet von einer kräftigen, sportlichen Blondine, bestimmt mit einer selbstsicheren Geste die Richtung und sendet Grüße aus Dolny Śląsk, wie Niederschlesien nun auf Polnisch heißt. Auch wenn die Bildersprache des Dritten Reiches und des „sozialistischen Realismus“ durchaus vergleichbar waren, so verweist die Haltung des Mannes (aber auch seine Kleidung und Ausrüstung) auf ein deutsches Muster. Eine stalinistische Adaptation müsste mindestens verlangen, dass beide Gestalten rote Pioniertücher tragen, selbst das ist nicht der Fall, die karierten Kleidungsutensilien korrespondieren bei Mann und Frau mit den Farben der Landschaft. (S. 107-109)

Banas3Banaś ist aber vor allem ein Genre-Historiker, seine Ausführungen über die ersten Grafikbetriebe, die sich der „polnischen“ Postkarten aus Niederschlesien angenommen haben, sind fundiert und spannend gleichermaßen. Natürlich ging es dabei oft um Propaganda und die Vereinnahmung des deutschen Raumes für die polnische Öffentlichkeit: Weder die Ansiedler, noch die im polnischen „Mutterland“ verbliebenen Adressaten dieser Karten wussten etwas über die neuen Städte und Landschaften. Somit gehörten die slawischen (sprich: polnischen) Spuren, darunter Architekturdenkmäler, Kirchen, Sarkophage von Piasten-Herzogen zu den beliebtesten Motiven der neuen polnischen Produktionen. Nicht selten wurden Parallelen zwischen den „polnischen“ Rittern des Mittelalters und den polnischen Soldaten sichtbar, die heute wie damals die „Wacht an der Oder“ hielten.

Die Rolle des Westinstituts

Eine bedeutende Rolle bei der Idee und Herstellung solcher Karten spielte damals das Posener Westinstitut (Instytut Zachodni), das die kaum vorhandene Wissenskompetenz über die Oder- und Neiße-Gebiete nun auch mit anspruchsvollen Postkarten füllte und sich stark für deren politische Aneignung wie kulturelle Polonisierung einsetzte. Die 24 editorisch hervorragend herausgegebenen Postkarten des Westinstituts, die ab 1948 erschienen und wichtige polnische Spuren in den Wiedergewonnenen Gebieten zeigten, sollten vor allem den polnischen Anspruch u.a. auf Breslau und Niederschlesien unterstreichen. Übrigens war dabei auch ein Bild der Lausitzer Hauptstadt Bautzen, wo der polnische König Bolesław der Tapfere im Jahr 1018 einen Friedensvertrag mit deutschen Fürsten schloss. Soweit ging die polnische Westgrenze nun nicht, aber die Karte zeigte einen polnischen Anspruch auf mehr… (S. 36-53)

banas5Der Bildband zeigt noch mehr „politische“ Raritäten, etwa Bilder von 1945 von B. Sekuła, auf denen die Zerstörungen von Breslau kaum sichtbar sind (S. 56-66), in Gegensatz dazu steht eine Serie aus dem Jahr 1948 unter dem Motto „Wrocław oskarża“ (Breslau klagt an, S. 67-71), die ein etwas anderes Bild auf den Zustand der Odermetropole wirft. Die Serie entspricht einer ähnlichen Produktion, die die Zerstörungen von Warschau thematisiert (wie der Autor schreibt, bleibt unklar, wen Breslau nun anklagt, den Gauleiter Hanke oder die Rote Armee). Hinzu kommt noch die politische Interpretation des Erscheinungsbildes. Die aufgeräumte, ruhig anmutende Stadt (von 1945!) sollte einladend wirken und möglichst viele Ansiedler ansprechen. Sie sollte den Eindruck vermitteln, eine normale, für die neuen Einwohner attraktive Stadt zu sein. In diesem Zusammenhang stehen auch einige „Auftragspostkarten“, die von lokalen Behörden herausgebracht wurden und die Polen direkt aufforderten, sich anzusiedeln: „Przyjeżdżajcie na Dolny Śląsk“ (Kommt nach Niederschlesien). Auf. S. 198 zeigt Banaś ein Foto eines großzügigen Landhofs in Czernica (Tschirne) bei Löwenberg (Lwówek Śl.), der nun von dem Ansiedler Stanisław Śmiechowski in Betrieb genommen worden isthat. „Ten dom czeka na Ciebie“ (Dieses Haus wartet auf Dich) steht darunter.

Banas2Erwähnenswert ist noch ein zweites Projekt des Westinstituts: Eine Serie zur Breslauer Ausstellung zu Wiedergewonnenen Gebiete, die in Form eines 6-seitigen Postkarten-Büchleins 1948 veröffentlicht wurden. Auch wenn der Grafiker nicht genannt wird, heben sich die Bilder in Form von Propagandaplakaten durch ein professionelles und ästhetisches Konzept ab. Die Karten sind farbig und zeigen in polnischer und englischer Sprache die Vorzüge der polnischen Westgebiete in den Kategorien Polen in Europa, Bevölkerung, Anzahl der Ansiedler, polnische Bevölkerung vor und nach 1945, Schul- und Hochschulwesen, Anteil der Kohleproduktion an der Gesamtproduktion vor und nach 1945. Auch wenn die Zahlen aus heutiger Sicht nicht aussagekräftig sind (z.B. die stellte Kohleproduktion in den Wiedergewonnenen Gebieten 1938 9% der deutschen Produktion dar, während sie 1947 45% der polnischen Produktion ausmachte, S. 131-135), so bestechen die Bilder durch unkonventionelles, modernes Design. Auch sonst nehmen Bilder der genannten Ausstellung aus dem Jahr 1948 mehrere Seiten des Werkes in Anspruch (136-147).

Banas4Einen großen Anteil an den Bildpostkarten haben Motive, die von Künstlern, in der Regel Grafikern, gestaltet wurden: Wacław Łobanowski (S. 82-85), Henryk Wieczorek (86-91), Felicja Potyńska (92-96) und Andrzej Kurkiewicz (97-98).

Auch Privatinitiative war gefragt

Der Leser erfährt auch von einigen „privaten“ polnischen Fotografen und Postkartenherstellern, die sich auf diesem Gebiet im Rahmen der „privaten Initiative“ auf dem Markt etablierten, zum Beispiel der aus Lemberg stammende Jerzy Mańkowski, der sich in Glatz (Kłodzko) niedergelassen hatte und zunächst Bilder dieser Stadt aus dem Studio seines Vorgängers nutzte. Kein anderer „privater“ Fotograf hat seine Firma so weit entwickelt wie der eben genannte Mańkowski, dessen Bilder es bis in die ersten Bildbände über die Wiedergewonnenen Gebiete schafften (S. 72-81). Erwähnenswert ist auch, dass Mańkowski 1957 nach Westdeutschland fuhr, um sich in die Technologie der Farbbildherstellung einweisen zu lassen. Allerdings wurden danach die Möglichkeiten für kleine private Betriebe in Polen wieder beschnitten.

Insgesamt ist das Werk eine gelungene inhaltliche und ästhetische Darstellung von Ansichtskarten-Propaganda, mit der Niederschlesien nach 1945 den Polen nähergebracht werden sollte: Einerseits den Siedlern helfen, sich im neuen Land heimisch(er) zu fühlen, andererseits den übrigen Polen beweisen, dass die Region vor Jahrhunderten schon zu Polen gehörte und nun auf Ewigkeit im neuen Polen verbleiben soll. Das Werk empfehle ich Leserinnen und Lesern, die sich mit der Geschichte Niederschlesiens und Nachkriegspolens befassen ebenso wie all denen, die sich für das Medium Post- und Ansichtskarte, zumal in diesem spannenden historischen Kontext, begeistern.

Piotr Banaś: Oswajanie Ziem Odzyskanych, Korporacja Polonia, Warszawa 2009, 204 S.
Preis 27 PLN
https://dedalus.pl/Oswajanie-ziem-odzyskanych-Dolny-slask-na-poczotwkach-Pawe-Banas