19.02.2024 - Gesellschaft , Kultur, Über Bücher

Das Lachen als Mittel zum Zweck. Polen und ihr Humor

Weltuntergang 4

Als die Zeitschrift „Radar“ Ende der 70er Jahre den polnischen Satiriker Eryk Lipinski danach fragte, worüber Polen lachen würden, antwortete er damals: „Vor allem über sich selbst“. Und bis heute würden viele Polen dieser Antwort zustimmen. Das Lachen über sich selbst empfinden sie gewissermaßen als einen kleinen Akt der Befreiung aus den Zwängen der Alltäglichkeit, als eine Möglichkeit, etwas leichter zu nehmen, als es in Wirklichkeit sein mag. Diese Form des Humors basiert auf dem Paradoxon, dass sie Distanz zu sich selbst und der eigenen Umwelt aufbaut, und durch das gemeinsame Lachen darüber gleichzeitig Nähe und Verbundenheit hervorruft.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass manch ein Besucher dieses Landes, insbesondere wenn er aus Deutschland kommt, darüber verwundert ist, wie häufig die Polen Grund zum Lachen haben oder finden. In Bussen oder Zügen, in Schlangen vor den Kassen der Supermärkte, in Wartezimmern von Ärzten oder Behörden, und selbst nach Beerdigungen scheint die Stimmung in Polen irgendwie gelöster zu sein als in Deutschland.

 PointenVon den unterschiedlichsten, und in vielen Ländern ähnlichen Ausprägungen von Humor einmal abgesehen lässt sich in Polen doch seine spezifische Verbindung mit historischen oder politischen Umständen hervorheben. Die Geschichte des Landes in den vergangenen 300 Jahren hat es nicht immer gut gemeint mit den Menschen und ihren Lebensumständen. Die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert, Aufstände, Kriege und politische Abhängigkeiten bis ins späte 20. Jahrhundert haben dem Volk viel abverlangt. Und der Humor erwies sich schnell als probates Mittel, um auch unter widrigsten Umständen in einer Art und Weise überleben zu können, ohne die eigene Würde und das eigene Selbstbewusstsein aufgeben zu müssen. So gilt auch die polnische Literatur – die vor allem im 19. und 20. Jahrhundert ebenfalls eng mit der Geschichte des Landes gekoppelt war – als besonders stark und traditionsreich in den Gattungen der Satire und der Pointe. „Es scheint, als flüchtete sich die Nation, im Ernst wie im Humor, rettend in die Pointe“, beschrieb ihre Rolle in der polnischen Literatur ihr bekanntester Übersetzer ins Deutsche, Karl Dedecius, der diesem Thema sogar einen eigenen Band seines polnischen Panoramas widmete. Und der polnische Satiriker Stanisław Jerzy Lec schaffte mitten in der Zeit des kalten Kriegs mit seinen ebenso pointenreichen wie witzigen und hintersinnigen Aphorismen unter dem Titel „Unfrisierte Gedanken“ sogar den Sprung in den Kanon der Weltliteratur. Aber auch anderen Autoren, wie beispielsweise dem Lyriker Zbigniew Herbert oder dem Dramatiker Sławomir Mrożek, gelang im wahrsten Sinne des Wortes das Kunststück, ihre Gedichte oder Stücke häufig so doppelsinnig zu konstruieren, dass sowohl Ausländer, als auch Polen darüber lachen konnten, wobei sie deren Inhalte unterschiedlich interpretierten. Das Verständnis der Anspielungen auf Politik und Gesellschaft im eigenen Land blieb zumeist den Einheimischen vorbehalten. Da war es wieder, das Lachen über sich selbst als Mittel, mit den Umständen in Würde umgehen zu können.

 

Es gab aber auch Stimmen in Polen, denen das Potential des Humors in der polnischen Gesellschaft, vor allem in der Zeit nach 1945, gefährdet zu sein schien. „Witz ist nun einmal eine Demonstration von Intelligenz. In diesem Land wurde die Intelligenz über Jahrzehnte biologisch vernichtet“, sagte einmal der bekannte polnische Schauspieler Stanisław Tym, der als Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Regisseur mit seinem Film „Rys“ im Jahr 2007 selbst ein Kultstück polnischen Humors auf die Kinoleinwände projizierte. Er mag Recht haben, doch der polnische Humor wird dabei nicht immer an seinem Niveau gemessen. Als politisches und gesellschaftliches Ventil erfüllt manchmal auch die kleinste Pointe oder Zote ihren Zweck. So gewann der Humor immer dann an Schärfe (nicht unbedingt an Niveau!), wenn die Umstände es erforderlich machten. Als die Brüder Kaczyński in einer Art Doppelspitze als Präsident und Premierminister in den Jahren 2006 und 2007 das Land regierten und dabei sowohl auf internationalem als auch nationalem Boden zuweilen äußerst ungeschickt agierten, war die Zeit reif, den politischen Witz zur Mode werden zu lassen. Fotomontagen und Witze kursierten zuhauf im Internet oder wurden per Email versandt. Das Volk (oder zumindest große Teile davon) lachte und amüsierte sich über die eigene Regierung – und konnte dadurch mit ihr Leben. Zumindest so lange, bis es wieder Wahlen gab und dem politischen Witz durch die Abwahl beider Politiker wieder sein Motiv abhanden kam. Allerdings kennt auch der polnische Humor seine Grenzen. Als nämlich auch deutsche Medien anfingen, sich über die Kaczyńskis lustig zu machen und die taz beide gar als Kartoffeln abbildete, fanden das auch jene Polen nicht mehr lustig, die sich selbst durchaus als Kritiker dieser Regierung verstanden. Was den Polen erlaubt ist, ist es den Ausländern noch lange nicht. Es liegt schließlich ein erheblicher Unterschied darin, ob man selber über sich lacht, oder ob andere das tun. Dann nämlich ist Schluss mit lustig. Auch in Polen. Solange man aber unter sich ist, lacht man gerne über sich selbst. Oder sein Land. Besonders die Innenpolitik ist und bleibt aber ein beliebter Pointenlieferant. Zwischen 2017 und 2019 erreichte der Kabarettist Robert Górski mit seiner satirischen TV- und Online-Serie „Ucho Prezesa“ (dt. „Das Ohr des Vorsitzenden“) ein Millionenpublikum. In dieser Serie, in der er selbst die Hauptrolle spielte, machte er sich über den Vorsitzenden der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ sowie deren politisches Umfeld lustig und ließ kein gutes Haar an deren politischem Stil. Selbst Anhänger dieser Partei sollen heimlich geschaut und mitgelacht haben! Die Tatsache, nach dem Regierungswechsel im Dezember 2023 plötzlich Sejm-Sitzungen aufgrund ihres Unterhaltungswertes in polnischen Kinos übertragen wurden und der Ausruf“ Holt euch Popcorn“ fast zu Redewendung mutierte, mag ein weiteres Beispiel dafür sein, worüber Polen gerne lachen.

 CoverKneip Darueber lacht PolenWer einen Querschnittschnitt durch die Themen des polnischen Humors sucht, wird spätestens im Archiv des bekanntesten polnischen Karikaturisten, Andrzej Mleczko fündig. Seit Jahrzehnten illustrieren seine Bilder die einflussreichsten Zeitungen und Zeitschriften Polens, er besitzt sogar eigene Läden, in welchen seine Bilder auf unterschiedlichsten Utensilien reproduziert und verkauft werden. Mleczko zeichnet geradezu auf dem Hauptstrang des polnischen Humornervs, wobei er in seiner Themenwahl wie auch in seiner bildhaften Umsetzung keineswegs zimperlich ist. Sex and Crime sells. Und nicht alle seine Werke sind deswegen jugendfrei. Aber Humor ist eben, was gefällt. Und da sind die Polen nicht wählerisch. Doch auch bei Mleczko geht es häufig um historische oder politische Bezüge. Gerade die Verbindung sexueller Themen mit historischen oder politischen Ereignissen dürfte sogar seine Einzigartigkeit ausmachen.

Auch wenn die Polen im Alltag am liebsten über ganz andere Dinge lachen, das Lachen über sich selbst, über ihre Geschichte oder die Politik wird ein kleiner, aber kontinuierlicher Leitfaden ihres Humors bleiben. Als Mittel zum Zweck, das Leben einfacher zu machen. Davon können andere Nationen durchaus lernen.